Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 500

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/500

verhältnis der beiden bürgerlichen Parteien verdankt, da antwortete die „Münchener Post“ entrüstet: „Nicht in der Rolle des ‚Züngleins an der Waage‘, die ihr unter diesen Umständen völlig versagt war, errang die kleine sozialdemokratische Fraktion ihre Erfolge, sondern diese sind lediglich das Resultat ihrer geschickten und energischen Arbeit, ihres prinzipiellen und festen Widerstandes gegen die beiden Großen!“

Das ist prächtig ausgedrückt. Nicht die Zahlenverhältnisse verschaffen einer oppositionellen Minderheitspartei Einfluß und Bedeutung in der Volksvertretung, sondern „ihre geschickte und energische Arbeit“, „ihr prinzipieller und fester Widerstand“ gegen alle Mehrheitsparteien. Aber in diesem Falle – wozu die Mandatsvermehrung um jeden Preis? Die durch ein Kompromiß mit dem Zentrum neu hinzugekommenen sechs Landtagssitze haben, wie es scheinen sollte, den „prinzipiellen und festen Widerstand“ geschwächt und nicht gestärkt.

In letzter Linie bleibt also nach aufgemachter Rechnung von allen glänzenden Erfolgen der Wahlabmachung als unbestreitbare, handgreifliche Tatsache nur der Zuwachs an Landtagsmandaten übrig, während die anderen beabsichtigten und erwarteten Eroberungen wohl mehr zur Garnierung dieses Hauptergebnisses aufmarschieren.

Im bayerischen Landtag hat einmal der Zentrumsabgeordnete Orterer gegenüber der Bemerkung, daß die 1893 gewählten fünf Sozialdemokraten nur die Spitze eines Keiles bildeten, erklärt, „man müsse dafür sorgen, daß das Zentrum von dieser Spitze nicht gestochen werde“. Nun, diesmal kam der sozialdemokratische Keil jedenfalls nicht mit der Spitze gegen das Zentrum, sondern umgekehrt mit der breiten Rückseite, auf der die Zentrumsmehrheit einherfuhr, in den Landtag.

II

Leipzig, 7. September

Nun fragen wir, was an der ganzen bayerischen Wahlabmachung spezifisch „Bayerisches“ ist.

Ist es der verhältnismäßig fortschrittliche, demokratische Charakter des bayerischen Zentrums im Unterschied von der Politik dieser Partei im übrigen Deutschland?

Darauf gibt uns das Handbuch für die bayerischen Landtagswähler folgende Antwort: „Nein, vom Geist solcher Männer (wie Ketteler und Manning) ist keine Spur im deutschen Zentrum, in dem sozialökonomisch wie politisch kein moderner Gedanke lebt. Und von dem deutschen Zen-

Nächste Seite »