Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 501

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trumsregiment sind die Bayern die allerzurückgebliebenste Compagnie.“ (Hervorhebung im Original, S. 35.)

Oder ist es die Sympathie des bayerischen Zentrums – im Gegensatz zu seiner übrigen Reaktion – für die Wahlreform, für das allgemeine Wahlrecht?

Darauf gibt uns die Rede des Abg. Orterer Antwort, der namens des Zentrums im bayerischen Landtag erklärte: „Unter keinen Umständen werden wir einem Wahlgesetze unsere Zustimmung geben, welches die Gefahr in sich schlösse, daß bei der rasch fortschreitenden Vermehrung des Proletariats der Großstädte das Landvolk mit seinen Interessen nicht bloß zurückgedrängt, sondern geradezu unterdrückt würde.“ (Handbuch für die bayerischen Landtagswähler, S. 16.) Im Handbuch (S. 12) ist ferner ausdrücklich gesagt: „Aus den eigenen Erklärungen der Herren (vom Zentrum) ist unumstößlich nachgewiesen, daß für den wichtigsten Punkt, die Herbeiführung des direkten Wahlrechts, sofort die notwendige Zweidrittelmehrheit zu haben ist, sobald die ausschlaggebende Zentrumspartei nur will.“ Und auch noch die Erklärung auf dem Münchener sozialdemokratischen Parteitag[1] gibt darauf Antwort, wo gesagt wurde: Nicht verfassungsrechtliche und sonstige Hindernisse, sondern lediglich der böse Wille des Zentrums und auch noch anderer Leute sei schuld, wenn eine Wahlreform bisher nicht zustande gekommen sei (a. a. O., S. 16).

An den Eigenschaften der in Betracht kommenden bürgerlichen Parteien liegen also die „bayerischen Besonderheiten“ diesmal jedenfalls nicht. Freilich weist das Wahlvorgehen der bayerischen Genossen einige Eigentümlichkeiten auf. Aber diese liegen auf einem anderen Gebiete, nämlich in der Methode des politischen Kampfes der Sozialdemokratie.

So z. B. ist es gewiß etwas ganz Eigenartiges, wenn auf den Umsturz eines vorhandenen Wahlrechts dadurch hingearbeitet wird, daß man es zur Schaffung einer bis dahin nicht vorhandenen absoluten Mehrheit der reformfeindlichsten Partei gebraucht. Sonst, nach allem Herkommen, pflegt die Sozialdemokratie für die Reform eines Wahlunrechts in einer anderen Weise zu kämpfen, dadurch nämlich, daß sie es in möglichst krasser Form bei jeder Gelegenheit vor dem Volke entlarvt. Von diesem Standpunkt war die Beschränkung der bayerischen Sozialdemokratie bei der Landtagswahl bloß auf die eigene Kraft das Wirksamste, was sich denken läßt. Welche niederschmetternde Anklage des Wahlrechts, wenn die Sozialdemokratie bei einer Verdoppelung der gewählten Wahlmänner

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[1] Gemeint ist der Landesparteitag der bayrischen Sozialdemokraten am 30. September und 1. Oktober 1894 in München, auf dem u. a. über die Abänderung des Landtagswahlrechts beraten wurde.