Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 546

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wiedergegeben. Zieht man sie ganz in Betracht, dann zeugt auch sie nicht für, sondern gegen Bernstein. Der Statistiker Soetbeer, der diese Tabelle zusammengestellt hat, muß selbst zugeben, daß die von ihm nachgewiesenen Resultate Anhaltspunkte zu der Behauptung geben, daß sich das Einkommen ungleichmäßiger verteile, da die unteren und oberen Klassen an Häufigkeit zunehmen, die unteren im Durchschnittseinkommen sinken, die höheren steigen.

5. Endlich die letzte der „erdrückenden“ Zahlen: die Akkumulation der Kapitalien in England. Hier ist ein Fehlschluß, von den englischen Verhältnissen auf die allgemeinen Gesetze des Kapitalismus zu schließen, denn England ist sozusagen der Silberschrank der ganzen Welt geworden. Ferner unterscheidet Bernstein in seiner Statistik für England das industrielle vom kaufmännischen und vom Leihkapital nicht, die aber in der Entwicklung der sozialen Gegensätze eine grundverschiedene Rolle spielen. Endlich ist die Statistik als solche hier ohne jeden wissenschaftlichen Wert, weil England – keine Statistik der Einkommen eben besitzt! Seinen Haupttrumpf in bezug auf England hat Bernstein nicht etwa einem wissenschaftlichen Werke, sondern einem tendenziös-bürgerlichen, anonymen Gelegenheitsartikel zum Jubiläum der Königin entnommen.

So löst sich das ganze „erdrückende“ Zahlenmaterial Bernsteins in nichts auf: Ein Vergleich unvergleichbarer Zahlungen, einige Schätzungen statt statistischer Daten, einige unvollständig wiedergegebene Tabellen und ein anonymer Aufsatz – das ist Bernsteins Beweismaterial gegen die Marxsche Lehre. Nächstens, sagt Kautsky, wird er dem „Kapital“ ein anonymes Feuilleton aus der „Woche“ des Herrn Scherl entgegenstellen!

III

Leipzig, 23. September

Es bleibt noch die dritte mögliche Deutung der von Bernstein gegen die Marxsche Lehre vorgeführten „Zunahme des gesellschaftlichen Reichtums“ zu prüfen: die Hebung der materiellen Lage der Arbeiterklasse. Bernstein zieht wiederholt gegen die angeblich dem Parteiprogramm zugrunde liegende „Verelendungstheorie“ ins Feld. Dabei unterstellt er aber stets eine rein physiologische Bedeutung des von der Marxschen Theorie konstatierten „Elends“ der Arbeiterklasse. Von diesem Standpunkt hätte er allerdings recht, denn gerade in den vorgeschrittensten kapitalistischen Ländern ist eine allgemeine Zunahme physischen Elends nicht mehr zu konstatieren.

Freilich darf man auch das Steigen der Lebenshaltung des Proletariats

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