Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 257

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Erörterungen über die Taktik

[1]

I

In den gestern von uns in der Hauptsache wiedergegebenen Ausführungen des Genossen „gr.“ im „Vorwärts“[2] möchten wir unsererseits bloß zwei Punkte hervorheben.

1. Wenn er von der für die Partei weniger ersprießlichen „Kampfesweise und Tonart gewisser Parteikreise“ spricht, „die für eine Parteiopposition angemessen erachtet werden mögen, die aber ganz gewiß gerade für das Zentralorgan der Partei nicht geziemend wären“, so hat er unzweifelhaft vor allem unser Blatt im Auge.

Der Genosse im „Vorwärts“ versteht offenbar unter „Opposition“ nicht, wie alle Welt, die Richtung, die im Gegensatz zum Bestehenden und zur Gesamtheit auftritt, sondern die, welche am lautesten spricht; er unterscheidet Richtungen nicht nach ihrem politischen Inhalt, sondern nach dem Piano oder Forte ihrer Sprache. Diese tiefe Auffassungsweise erinnert uns an jene zarte Dame, die in den Shakespeareschen Dramen nur die Unflätigkeit der Ausdrücke bemerkt hat.

Nun, wenn nicht das eigene Verständnis von der hergebrachten Taktik der Partei, so hätten wenigstens die Verhandlungen des Stuttgarter Parteitages die Redakteure des „Vorwärts“ eines Besseren belehren sollen. Denn der Parteitag hat in einer auch für weniger scharfsichtige Politiker verständlichen Weise dargetan: In der Partei gibt es keine Opposition der Linken, es gibt bloß eine Opposition der Rechten. Die Partei in ihrer Gesamtheit steht, wie sie immer stand, auf unserem Standpunkt, in der Opposition zur Partei befinden sich nur die zum Opportunismus neigen-

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[1] Der Artikel II ist nicht gezeichnet. Inhaltlich und stilistisch knüpft er unmittelbar an den mit rl. gezeichneten Artikel I vom 19. Oktober 1898 an. Siehe auch den Hinweis Rosa Luxemburgs in dem Artikel „Ein Parteistreit“ (GW, Bd. 1/1, S. 272).

[2] Zu den Fragen der Taktik. In: Vorwärts (Berlin), Nr. 243 vom 16. Oktober 1898. Der Artikel stammt von Georg Gradnauer, Redakteur des „Vorwärts“.