Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 626

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/626

Die „Unverschämten“ an der Arbeit

[1]

Leipzig, 29. November

Die Vereinigung der Steuer- und Wirtschaftsreformer kündigt bereits jetzt die Tagesordnung ihrer im Februar 1900 stattfindenden 25. Generalversammlung an. Es wird dies eine Jubiläumsversammlung der Organisation der agrarischen Schutzzöllner sein, die in der handelspolitischen und sozialpolitischen Geschichte Deutschlands eine so bedeutende Rolle gespielt hat. Die Vereinigung der Steuer- und Wirtschaftsreformer war es namentlich, die Mitte der 70er Jahre den Übergang von dem äußersten agrarischen Freihändlertum zum äußersten Schutzzöllnertum zu vermitteln und die Bismarcksche Politik in diesem Sinne zu unterstützen berufen war. Anfangs versteckt sie noch den spezifisch ostelbisch-junkerlichen Pferdefuß und hißt nur eine allgemein christlich-konservative Flagge. Materielle Bestrebungen erscheinen ihr bloß als ein notwendiges Übel, um in dem verdorbenen materialistischen Zeitalter das wahre konservative Christentum mit einigem weltlichem Inhalt zu füllen. „Eine konservative Partei“, hieß es im Programm der Vereinigung, „welche die kirchlichen und staatlichen Verfassungsfragen in den Vordergrund ihres Programms stellt, ist der Gefahr ausgesetzt, daß sie Formen ohne Inhalt schafft ... Die beste Kirchenverfassung hat keinen Wert, wenn das Volk vom Christentum sich abwendet, sie ist niemals imstande, das Volk zur Kirche zurückzuführen. Wohl aber kann letzteres geschehen durch eine wirtschaftliche Gesetzgebung, welche den Geist der Liebe und den Sinn für Autorität im Volke wieder wachruft.“

Mit welchen Mitteln das deutsche Volk im Geiste der Liebe und der

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[1] Dieser Artikel ist mit einem Anker gezeichnet. In einem Brief vom 3. Dezember 1899 an Leo Jogiches erwähnt Rosa Luxemburg diesen von ihr geschriebenen Artikel. (Siehe GB, Bd. 1, S. 409.)