Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 516

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Zum kommenden Parteitag

Leipzig, 14. September

In wenigen Wochen treten die Vertreter der deutschen Sozialdemokratie in Hannover zu ihrer jährlichen Beratung zusammen. Die bürgerliche Presse überbietet sich schon von vornherein in geistreichen und tiefsinnigen Beobachtungen und Prophezeiungen aus diesem Anlaß. Wir gönnen ihr von Herzen das billige Vergnügen des Ins-Blaue-hinein-Redens und gehen, wie immer, ruhig unserer Wege. Auch der Parteitag in Hannover wird seine Schuldigkeit tun, und es ist Zeit, in raschen Zügen über die Verhandlungsgegenstände, die Bedeutung und die Aufgaben des Parteitags einen allgemeinen Überblick zu machen.

I Zur Tagesordnung

Auf der Tagesordnung des Parteitags stehen nach dem Vorschlag des Parteivorstandes in der folgenden Reihenfolge als erste 8 Punkte: 1. Festsetzung der Tagesordnung, 2. Geschäftsbericht des Vorstandes, 3. Bericht der Kontrolleure, 4. Bericht über die parlamentarische Tätigkeit, 5. die Zuchthausvorlage[1], 6. Erörterungen über Punkt 3 des Parteiprogramms[2], 7. die Angriffe auf die Grundanschauungen und die Taktik der Partei, B. Maifeier 1900.

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[1] Am 20. Juni 1899 hatte die Regierung im Reichstag einen Gesetzentwurf „zum Schutz der gewerblichen Arbeitsverhältnisse“, die sogenannte Zuchthausvorlage, eingebracht, die sich gegen die zunehmende Streikbewegung richtete und die Beseitigung des Koalitions- und Streikrechts der Arbeiter bezweckte. Auf Grund gewaltiger Massenaktionen konnte diese Vorlage am 20. November 1899 im Reichstag gegen die Stimmen der Konservativen zu Fall gebracht werden. Dieser Gesetzentwurf geht auf einen Geheimerlaß vom 11. Dezember 1897 zurück, den der „Vorwärts“ am 15. Januar 1898 veröffentlicht hatte.

[2] „Erziehung zur allgemeinen Wehrhaftigkeit. Volkswehr an Stelle der stehenden Heere. Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung. Schlichtung aller internationalen Streitigkeiten auf schiedsgerichtlichem Wege.“ (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Stuttgart vom 3. bis B. Oktober 1898, Berlin 1898, S. 4.)