Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 250

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Fraktion in Zollfragen nicht durch eine steife, generalisierende Erklärung fesseln, sondern ihr auf alle Fälle freie Hand lassen müssen. Was bedeutet aber die „freie Hand“ gegebenenfalls? Daß wir durch eine grundsätzliche Erklärung gegen den Schutzzoll unsere Vertreter im Reichstage nicht verhindern, für Zollermäßigungen zu stimmen, ist ebenso sonnenklar wie die Tatsache, daß wir in unserer Bestrebung zum Achtstundentag auch für den 11-, 10- und 9stündigen gesetzlichen Arbeitstag stimmen würden. Die „freie Hand“ kann also gegebenenfalls nur das Umgekehrte bedeuten, die Freiheit unserer Vertreter, eventuell im Interesse einzelner Branchen für Zollerhöhungen oder wenigstens nicht gegen sie zu stimmen. Aber das ist ja gerade der Schippelsche Standpunkt, den die Resolution Kautsky widerlegen wollte, das ist ja gerade das, was zu verhüten war!

Die Resolution Kautsky in der jetzigen Fassung bietet also unseres Erachtens in der Zollfrage weder eine prinzipielle noch eine praktische Richtschnur für die Partei. Und die Eilfertigkeit, mit der Kautsky, Bebel und andere Verfasser der Resolution den Kompromiß mit Schippel durch das kleine Amendement akzeptierten, beweist uns, daß sie sich im Laufe der Debatte selbst nicht bewußt waren, worin im gegebenen Fall der Schwerpunkt ihrer Stellungnahme gegenüber der opportunistischen lag. Daß ferner deshalb der Schippelsche Standpunkt in der Zollfrage formell unwiderlegt geblieben ist, trotzdem Kautsky in seiner Rede so viele gewichtige Argumente gegen ihn ins Feld führte, scheint uns ebenfalls Tatsache zu sein. Auf die Auffassung Schippels selbst hier einzugehen ist uns unmöglich. Dies soll in einem anderen Zusammenhang geschehen.

III

Dresden, 13. Oktober

Wenn der Parteitag in der Frage der Zoll- und Handelspolitik die Fraktion unseres Erachtens ohne eine klare Richtschnur für ihr künftiges Verhalten gelassen hat, so ist dafür in betreff der beiden anderen wichtigsten Fragen auf dem Gebiete ihrer Tätigkeit – der Kolonialpolitik und des Militarismus – nach den Debatten in Stuttgart nicht der geringste Zweifel über die Wünsche und die Auffassung der Partei mehr möglich. Der Bericht über die parlamentarische Tätigkeit unserer Fraktion und die daran geknüpfte Debatte waren unserer Meinung nach überhaupt der – neben der allgemeinen Debatte über die Taktik und der Zolldebatte –

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