Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 223

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wirklich retten oder ob sie dazu führen wird, früher oder später die Gesellschaft aus ihren geschichtlichen und traditionellen (!) Rahmen zu schleudern, zum Opfer des Sozialismus und Anarchismus ..., das überlassen wir Gott.“ Die soziale Entwicklung in Posen ist somit ganz analog derjenigen in Oberschlesien: Hier wie dort sieht sich die kleinbürgerliche Partei (in Oberschlesien nämlich der polnische Teil des Zentrums) gezwungen, bei der Arbeiterklasse betteln zu gehen. Daß, einer solchen Impotenz entsprechend, auch der „Nationalismus“ dieser kleinbürgerlichen polnischen Parteien – in Deutschland ganz wie in Rußland und in Österreich – heute nur dazu dient, durch seine Zersetzungsmiasmen die politische Atmosphäre zu verpesten, aber zu keinem nationalen Aktionsprogramm führt, wie man manchmal in Deutschland annimmt, beweist das Verhalten dieser Parteien bei den letzten Ereignissen in Krakau und Prag. Aus Anlaß der unverschämten zarophilen Rede des Russen Professor Brandt aus Moskau bei der Enthüllung des Mickiewicz-Denkmals in Krakau, einer Rede, die von einem Teile der anwesenden Polen mit Zischen und Protestrufen beantwortet wurde, schrieb derselbe „Orędownik“: „Daß er (Prof. Brandt) seinen Zaren lobte, das kann man ihm doch nicht übelnehmen, als Russe konnte er nicht anders reden. (!) Und dennoch hat ein beträchtlicher Teil der Polen gezischt und gepfiffen.“ Das beweist, „daß die politische Erkenntnis in unserem Volke noch sehr niedrig steht!“. Noch besser war das Urteil des Lemberger Bruderorgans der „Volksparteiler“, des „Słowo Polskie“ (Polnisches Wort): „Daß ein Russe seinen Zaren liebt, daß er an die Idee des Absolutismus glaubt, das kann ihm doch niemand von seinem Standpunkte (!) übelnehmen, sind wir doch nach allem, was heute in Frankreich, Italien und Österreich vorgeht, hoffentlich selbst zu der Überzeugung gelangt, daß das parlamentarisch-konstitutionelle System einer Reparatur und die Freiheit des Schutzes vor Ausschreitungen bedarf.“ Dies die letzten Mohikaner des polnischen Nationalismus. Sie transit gloria mundi!

II

Die polnischen Blätter knüpfen an die Ergebnisse der Wahlen interessante Betrachtungen. Wie in Oberschlesien, bekommt auch in Ost- und Westpreußen die bisherige Herzensallianz der Polen mit dem Zentrum Risse. Tatsächlich hat es sich herausgestellt, daß, während die Zentrumsabgeordneten fast überall den polnischen Stimmen ihre Mandate verdanken, die

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