Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 567

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Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 9. bis 14. Oktober 1899 in Hannover

[1]

I Rede über die Ablösung der kapitalistischen Gesellschaft

[2]

Parteigenossen, es hieße Wasser ins Meer tragen, wollte ich nach dem vortrefflichen Vortrage des Genossen Bebel' mich noch über die theoretische Seite der Frage verbreiten. Bebel hat diese Fragen so gründlich behandelt und so viel neues Tatsachenmaterial gegen Bernstein angeführt, daß es sich erübrigt, darüber mehr zu sagen. Einige Bemerkungen Davids, die zum Teil gegen mich gerichtet waren, veranlassen mich aber doch zur Antwort. Mit seinen Ausführungen, die die Landwirtschaft betrafen[3], werde ich mich nicht befassen. Die Frage des Düngers spielte darin eine so große Rolle, daß ich unwillkürlich an jene Rede eines pommerschen Ökonomierates im landwirtschaftlichen Verein dachte, die da lautete: „Ich glaube, Sie werden mir alle zustimmen, wenn ich meine Ausführungen mit den Worten schließe: Mist ist die Seele der Landwirtschaft!“ (Große Heiterkeit und „Oho!“.)

Die schwächste Seite in der theoretischen Auffassung Bernsteins und seiner Anhänger ist ihre Theorie von der sogenannten wirtschaftlichen Macht, die sich die Arbeiterklasse erst im Rahmen der heutigen Gesellschaftsordnung erwerben muß, bevor sie eine politische Revolution glücklich durchführen könne. Von seiten Davids und anderer Anhänger Bernsteins ist uns öfter Phrase und Vorliebe für die Schablone vorgeworfen

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[1] Redaktionelle Überschrift.

[2] August Bebel hatte das Referat zum Tagesordnungspunkt „Die Angriffe auf die Grundanschauungen und die taktische Stellungnahme der Partei“ gehalten, in dem er die revisionistischen Anschauungen Bernsteins zurückwies und die politische Selbständigkeit der deutschen Sozialdemokratie als Klassenorganisation des Proletariats verteidigte.

[3] Eduard David hatte in der Diskussion die revisionistischen Anschauungen Eduard Bernsteins verteidigt und u. a. behauptet, in der Landwirtschaft seien die Kleinbetriebe rentabler als die Großbetriebe und deshalb gäbe es dort keine Entwicklung vom Kleinbetrieb zum Großbetrieb.