Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 568

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worden. Gerade in der Frage der Eroberung der ökonomischen Macht ist auf jener Seite die Schablone und die Phrase, wie ich nachweisen werde.

Marx hat bekanntlich bewiesen, daß jeder politischen Klassenbewegung bestimmte wirtschaftliche Verhältnisse zugrunde gelegen haben. Marx hat dargelegt, daß alle bisherigen geschichtlichen Klassen, bevor sie zur politischen Macht gelangten, sich zur ökonomischen Macht aufgeschwungen haben. Diese Schablone wenden nun die David, Woltmann und Bernstein in sklavischer Weise auf die heutigen Verhältnisse an. Das beweist, daß sie weder das Wesen der früheren Kämpfe noch das Wesen der heutigen Kämpfe verstehen.

Was heißt das: Die früheren Klassen, namentlich der dritte Stand, haben sich vor der politischen Emanzipation die wirtschaftliche Macht erobert? Nichts anderes als die historische Tatsache, daß alle bisherigen Klassenkämpfe auf die wirtschaftliche Tatsache zurückzuführen waren, daß eine neu aufstrebende Klasse zugleich eine neue Form des Eigentums geschaffen hatte, auf der sie schließlich ihre Klassenherrschaft begründete. Der Kampf des Handwerkers gegen den städtischen Adel im ersten Teil des Mittelalters beruhte darauf, daß er gegenüber dem im Grund und Boden bestehenden Eigentum des Adels eine neue Form des Eigentums geschaffen hatte, das auf der Arbeit beruhte. Das war eine neue wirtschaftliche Schöpfung, die schließlich die politischen Fesseln sprengte und die Überreste des bedeutungslos gewordenen feudalen Eigentums nach seinem Urbild umbildete. Dasselbe wiederholte sich am Ende des Mittelalters, als der Mittelstand seinen Kampf gegen den Feudalismus führte, als das neue, kapitalistische Eigentum geschaffen wurde, das auf der Ausbeutung fremder Arbeit beruhte und schließlich den dritten Stand auch politisch zur Herrschaft brachte.

Nun frage ich: Kann man diese Schablone auf unsere Verhältnisse übertragen? Nein. Gerade die, die von der wirtschaftlichen Macht des Proletariats faseln, übersehen die große Verschiedenheit zwischen unserem und allen früheren Klassenkämpfen. Die Behauptung, das Proletariat führt im Gegensatz zu den früheren Klassenkämpfen seinen Klassenkampf nicht, um eine Klassenherrschaft zu begründen, sondern alle Klassenherrschaft abzuschaffen, ist keine Phrase. Das hat seinen Untergrund darin, daß es keine neue Form des Eigentums schafft, sondern nur das von der kapitalistischen Wirtschaft geschaffene kapitalistische Eigentum ausbildet, indem dieses in den Besitz der Gesellschaft übergeführt wird. Es ist also eine Illusion, zu glauben, das Proletariat könne schon innerhalb der heutigen bürgerlichen Gesellschaft die wirtschaftliche Macht sich verschaffen;

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