Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 759

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/759

Eine Blüte des Hakatismus

[1]

Leipzig, 29. Juni

Der soeben beendete „Hochverratsprozeß“ gegen die drei Polen[2] dürfte sogar auf das nicht mit den Gegenständen der Anklage vertraute deutsche Publikum den Eindruck einer äußerst plumpen Mache hervorgerufen haben. Geradezu monströs ist aber der „Prozeß“ für jedermann, der die behandelten Verhältnisse näher kennt, namentlich für jeden Polen.

Die Anklage, durch die Unterstützung des Nationalmuseums in Rapperswil und des polnischen „Nationalschatzes“ einen Hochverrat gegen die deutsche Staatsgewalt verübt zu haben, klingt im ersten Augenblick wie ein schlechter Witz. Der Polizei bleibt es zwar vorbehalten, stets die unglaublichsten Kombinationen und erstaunlichsten Zusammenhänge herauszubringen, aber diesmal scheint der Spaß wahrlich etwas zu weit getrieben!

Anfangs der 70er Jahre hat der polnische Graf Plater in Rapperswil bei Zürich das sogenannte nationale polnische Museum gegründet, wohin alle Reliquien aus der Zeit der polnischen Freiheit und der Freiheitskämpfe zusammengebracht und aufbewahrt werden sollten, als ein Sammeldenkmal des Polentums. Allerlei altes Denkwürdiges, Gewehre, alte Fahnen, Trachten, Büsten, Medaillen, Porträts, Handschriften, Münzen, Photographien usw., findet sich in dem kleinen Museum sorgsam aufbewahrt, geordnet und jedem Neugierigen zugänglich. Daneben findet sich eine recht gute Bibliothek polnischer und auf Polen bezüglicher Werke vorzüglich geschichtlichen Inhalts. Diese bescheidene Reliquien- und diese Büchersammlung hatte von Anfang an den einzigen Zweck, den sie haben konnte

Nächste Seite »



[1] Gemeint ist der 1894 gegründete Verein zur Förderung des Deutschtums in den Ostmarken, ab 1899 Deutscher Ostmarkenverein, nach den Anfangsbuchstaben seiner Gründer, Ferdinand von Hansemann, Hermann Kennemann und Heinrich von Tiedemann-Seeheim, auch Hakatistenverein genannt. Er vertrat eine rücksichtslose wirtschaftliche und politische Unterdrückungspolitik gegenüber den Polen in den östlichen Provinzen des Deutschen Reiches und strebte die territoriale Expansion nach dem Osten an.

[2] Vom 25. bis 27. Juni 1900 hatte vor dem Reichsgericht ein Prozeß gegen den Redakteur Leitgeber aus Ostrowo, den Schuhmacher Kolenda und den Buchdrucker Melerowicz aus Dortmund wegen angeblicher Vorbereitung zum Hochverrat stattgefunden. Das Urteil lautete für Leitgeber auf ein Jahr Festung, für Kolenda und Melerowicz auf Freispruch.