Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 581

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Flottenbegeisterung und Zuchthausschwärmerei

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Diese beiden Leitmotive der heutigen preußisch-deutschen Politik finden den lebhaftesten Widerhall im Busen des Herrn Privatdozenten v. Wenckstern. In einer ganzen Leitartikelreihe in der „Kreuz-Zeitung“[2] hat er wieder gegen Brentano die unabweisbare Notwendigkeit der Zuchthausvorlage[3] bewiesen, um die deutsche Arbeiterschaft von dem sozialdemokratischen Gift radikal zu kurieren. Der Herr Privatdozent ist Liebhaber von starken Mitteln: Er will „die Arbeitgeber stärken, wo sie allzustarken Arbeiterverbänden gegenüberstehen, und wo das Feuer brennt, gleich die Feuerspritze in der Gestalt der staatlichen Organe zur Hand haben“; er meint, „daß die sozialdemokratischen Führer nach Bismarckschen Rezepten mit scharfer Hand angefaßt werden müssen“; er hofft endlich, „daß mit der Zeit ein solches Programm, das eine konsequente Fortsetzung der bisherigen deutschen Sozialpolitik wäre, sich Anerkennung und Existenz in Deutschland erringen wird“.

Mit der Behauptung, daß die Zuchthausvorlage und ein Sozialistengesetz, wie es im „Programm“ des Herrn Wenckstern heißt, „eine konsequente Fortsetzung der bisherigen deutschen Sozialpolitik“ sind, sind wir allerdings einverstanden, weniger recht dürfte der scharfe Privatdozent mit seiner Hoffnung auf die allgemeine „Anerkennung“ seines Programms in Deutschland behalten. Diese Hoffnung wird ihn, so hoffen wir, ebenso trügen wie bisher die Hoffnung auf ein „ordentliches“ Katheder. Der arme Privatdozent! Er tut seinerseits wirklich auch alles, um nach obenhin

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[1] Diese Notiz ist nicht gezeichnet. Aus Briefen Rosa Luxemburgs vom 31. Oktober und 1. November 1899 an Leo Jogiches geht hervor, daß sie die Verfasserin ist. (Siehe GB, Bd. 1, S. 393.)

[2] Noch einmal positive Politik gegen die roten Gewerkvereine. In: Kreuz-Zeitung (Berlin), Nr. 502 bis 506 vom 25.–27. Oktober 1899.

[3] Am 20. Juni 1899 hatte die Regierung im Reichstag einen Gesetzentwurf „zum Schutz der gewerblichen Arbeitsverhältnisse“, die sogenannte Zuchthausvorlage, eingebracht, die sich gegen die zunehmende Streikbewegung richtete und die Beseitigung des Koalitions- und Streikrechts der Arbeiter bezweckte. Auf Grund gewaltiger Massenaktionen konnte diese Vorlage am 20. November 1899 im Reichstag gegen die Stimmen der Konservativen zu Fall gebracht werden. Dieser Gesetzentwurf geht auf einen Geheimerlaß vom 11. Dezember 1897 zurück, den der „Vorwärts“ am 15. Januar 1898 veröffentlicht hatte.