Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 801

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VI Rede über die Notwendigkeit einer verstärkten Protestbewegung gegen den Chinakrieg

[1]

Ich habe allseitig Bestätigung gefunden für die Bemerkungen, die ich gestern zu dem Agitationsbericht Singers gemacht habe.[2] (Fendrich ruft: „Sogar von mir!“) Die Antwort Pfannkuchs hat mich belehrt, daß ich mich in meinem unverbesserlichen Optimismus bei dem Parteivorstand bitter getäuscht habe; denn was Pfannkuch zur Entschuldigung der Untätigkeit des Vorstandes gesagt hat, das war wirklich unter aller Kritik. Mit dem alten Ladenhüter, daß wir nicht ein Dutzend Bebels usw. haben, ist er wieder gekommen. Das ist immer die Antwort auf alle möglichen Beschwerden und Kritiken, so wie der Arzt bei Molière für alle Krankheiten nur ein Mittel kennt: Abführen und Klistier! (Heiterkeit.) Ich werde Ihnen zeigen, wie wir auch ohne die Vervielfältigung unserer agitatorischen Primadonnen Tüchtiges hätten machen können. 1. hätte man aus Anlaß des chinesischen Krieges ein Manifest herausgeben sollen, welches die weiten Kreise über die Ungeheuerlichkeit dieser Politik aufklären müßte. 2. hätten wir die mündliche Agitation einheitlich durch Direktiven seitens der Parteileitung und imposant gestalten können. Aber das ist es nicht allein. Der chinesische Krieg ist das erste Ereignis der weltpolitischen Ara, in das Alle Kulturstaaten verwickelt sind, und dieser erste Vorstoß der internationalen Reaktion, der Heiligen Allianz, hätte sofort durch einen Protest der vereinigten Arbeiterparteien Europas beantwortet werden müssen. Die Initiative darin hätte gewiß die Partei nehmen müssen, deren Land im Kriege gegen China die führende Rolle hat. (Zuruf: „Paris!“) Ich weiß, in einer Woche wird in Paris[3] ein Protest beschlossen werden; aber es kommt doch nicht darauf an, daß die vereinigten sozialistischen Vertreter protestieren – von denen hat kein Mensch bezweifelt, daß sie geschworene Gegner des Krieges mit China sind –, sondern es kam darauf an, in allen Ländern die gleichgültigen Volksmassen aufzurütteln, und in dieser Beziehung fürchte ich sehr, daß unsere Partei nicht nur im eignen Land sich eine Unterlassung hat zuschulden kommen lassen, sondern auch in bezug auf die internationale Solidarität. Wir machen uns wirklich in weiten Kreisen der Bevölkerung lächerlich. Wir wettern jeden Tag gegen die Weltpolitik, wir donnern gegen den Militarismus in Friedenszeiten; wo es aber einmal wirk-

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[1] Redaktionelle Überschrift

[2] Siehe Rosa Luxemburg: Rede über die Agitation der Partei gegen den Chinakrieg. In: GW, Bd. 1/1, S. 799 f..

[3] Der Internationale Sozialistenkongreß in Paris fand vom 23. bis 27. September 1900 statt.