Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 519

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/519

Wir halten das Gegenteil für richtig und weisen die Idee der Korreferate als mit der tatsächlichen Rolle der zu behandelnden Richtung und mit der Stellung der Partei unverträglich zurück.

II Mißverständnisse

Den Mittelpunkt der Verhandlungen werden, wie gesagt, selbstverständlich die Auseinandersetzungen mit Bernstein, Schippel und den anderen Vertretern der opportunistischen Richtung bilden. Was vor allem nach den wiederholten Äußerungen dieser letzteren gilt, ist die Frage, ob es überhaupt einen Streitgegenstand zwischen der Partei und den Anhängern des Opportunismus gibt und worin er besteht. Hört man, was z. B. Vollmar in Stuttgart über die Diskussion mit Bernstein sagte, wie Heine und Gradnauer in ihren Reden diesen Gegenstand darstellen[1], wie sich Fischer jüngst in der Versammlung des zweiten Berliner Wahlkreises geäußert[2], liest man endlich, was Bernstein selbst in seinem letzten Artikel im „Vorwärts“ schreibt[3], so könnte man zu der Ansicht gelangen, daß der ganze Streit mit Bernstein, der so viel Staub aufgewirbelt hat, eigentlich bloß einem groben Mißverständnis zuzuschreiben sei. Bernstein ebenso wie seine Anhänger wollen ja der Partei nichts Neues vorschlagen, man verstehe sie nur verkehrt und lege in ihre Worte einen ganz anderen Sinn hinein.

Wäre dem so, wollten Bernstein, Vollmar, Schippel wirklich gar nichts Neues, nur das, was die Partei bis jetzt getan, so müßte man dann einfach fragen: Wozu der Lärm? Was steht dem Herrn zu Diensten? Dann müßte man Bernstein sagen, was Bebel 1891 in Erfurt Vollmar sagte, als er Vollmars Münchener Reden bekämpfte: „Wenn es sich darum handelte, die alte Taktik beizubehalten, dann brauchten überhaupt die Reden nicht gehalten zu werden.“[4] Wenn es Bernstein darauf ankam, der Partei nichts

Nächste Seite »



[1] Georg Gradnauer, Wolfgang Heine und Georg von Vollmar hatten auf dem sozialdemokratischen Parteitag vom 3. bis 8. Oktober 1898 in Stuttgart reformistische Auffassungen vertreten und versucht, ihren Standpunkt mit der Behauptung zu verschleiern, ihre Auffassungen würden nicht wesentlich von der bisherigen Praxis der Partei abweichen.

[2] Richard Fischer hatte ans 5. September 1899 in einer Versammlung des sozialdemokratischen Wahlvereins für den zweiten Berliner Wahlkreis zum Hannoverschen Parteitag u. a. die Vorstöße Max Schippels, Wolfgang Heines und Eduard Bernsteins gegen die revolutionären Grundanschauungen der deutschen Sozialdemokratie bagatellisiert und behauptet, in der Partei gebe es keinen Opportunismus.

[3] Eduard Bernstein: Meine Stellung zum theoretischen Teil des Erfurter Programms. In: Vorwärts (Berlin), Nr. 206 vom 3. September 1899.

[4] Protokoll des Parteitags in Erfurt, 1891, S. 278. [Fußnote im Original]