Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 520

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Neues anzuraten, dann waren gleichfalls seine Artikel, Briefe und sein Buch[1] ganz überflüssig.

Was ferner die Hypothese von dem „Mißverständnis“ besonders verdächtig macht, ist der Umstand, daß bis jetzt, wo und wann bei uns opportunistische Neigungen zum Vorschein kamen, sobald sie von der Partei angegriffen wurden, sie sich augenblicklich in solche „Mißverständnisse“ verwandelten. In Erfurt, als die erste Kundgebung dieser Richtung, die obenerwähnten Münchener Reden Vollmars, von der Partei festgestellt wurde, erklärte dieser: „Was man meine neue Taktik nennt, hat man mit Unrecht so genannt, ich will gar keine völlig neue Taktik, ich stehe auf dem Boden der bisherigen Taktik, will sie aber konsequent durchgeführt sehen.“[2] Darauf aber antwortete ihm eine ganze Reihe von Rednern, u. a. auch Genosse Auer, folgendes: „Vollmar ist zweifellos in seiner Rede sowohl wie in seiner Broschüre für die Notwendigkeit einer Änderung der bisherigen Taktik eingetreten.“[3] [Hervorhebungen – R. L.]

Im gleichen Sinne äußerte sich Schoenlank: „Die Reden des Herrn v. Vollmar in München hätten viel eher von einem volksparteilichen als einem sozialdemokratischen Manne gehalten werden können ... Wegen eines zufälligen Ereignisses, wegen des Sturzes Bismarcks, verlangt er eine Änderung der Tendenz unserer ganzen Bewegung, nicht bloß der Taktik; er will an die Stelle der revolutionären Auffassung, daß nur durch Umänderung der Produktionsweise die heutige Unterdrückung der Arbeiterklasse beseitigt werden kann, eine gemütliche bürgerliche Arbeiterpartei setzen, er will uns abspeisen mit kleinen Brocken!“[4] [Hervorhebungen – R. L.]

Endlich Bebel konstatierte: „Es ist also durchaus falsch, wenn Vollmar heute mit allem Nachdruck erklärt, es sei ihm gar nicht eingefallen, eine neue Taktik zu wollen. Vollmar will ... in der Tat eine gänzlich neue Taktik der Partei inaugurieren.“[5]

Und dann führte Bebel noch folgendes aus: „Vollmar hat zur Begrün-

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[1] In der „Neuen Zeit“ hatte Eduard Bernstein von Oktober 1896 bis April 1897 die Artikelserie „Probleme des Sozialismus“ veröffentlicht, in der er seine revisionistischen Anschauungen darlegte. In weiten Kreisen der Sozialdemokratie wurde dieser Angriff auf die revolutionären Grundlagen der Partei entschieden verurteilt. Daraufhin übersandte Bernstein dem in Stuttgart vom 3. bis 8. Oktober 1898 tagenden sozialdemokratischen Parteitag eine Erklärung zur Begründung seiner revisionistischen Theorien. Im Januar 1899 erschien in Stuttgart sein Buch „Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie“.

[2] l. e., S. 190.

[3] l. c., S. 223.

[4] l. c., S. 219.

[5] l. c., S. 273 u. 277.