Wirtschaftliche und sozialpolitische Rundschau
[1]I Klein- und Großbetrieb in Berlin
„Statistische Studien zur Entwicklungsgeschichte der Berliner Industrie 1720 bis 1890“, so heißt eine von Otto Wiedfeldt neulich verfaßte Schrift, die sich speziell mit dem geschichtlichen Kampf des Handwerks mit der Großindustrie in der Hauptstadt beschäftigt und die Ergebnisse dieses Kampfes für mehr als anderthalb Jahrhunderte zusammenfaßt. Der Verfasser stellt zusammen ebenso die Durchschnittszahl der auf einen selbständigen Gewerbetreibenden zufallenden Unselbständigen (Gehilfen oder Arbeiter) wie der auf je einen im Gewerbe Beschäftigten entfallenden Einwohner Berlins. Das Ergebnis, zu dem er auf Grund dieser Statistik gelangt, ist, daß das Handwerk in Berlin von der Großindustrie systematisch zurückgedrängt und untergraben wird und daß es bereits im Kampfe mit ihr fast endgültig unterlegen ist.
Sosehr die allgemeine Ansicht Wiedfeldts der tatsächlichen Tendenz der wirtschaftlichen Entwicklung entspricht, so läßt sie sich keineswegs in so mechanischer Weise aus den statistischen Tabellen der Gewerbezählungen folgern, wie es der Verfasser tut; die nackte Statistik, wie sie namentlich bis jetzt geführt wird, läßt vielmehr, wie verschiedene Beispiele aus allerletzter Zeit beweisen, auch gerade umgekehrte Schlüsse von der Unerschütterlichkeit und dem gesunden Gedeihen des Kleinbetriebes konstruieren. In der Tat weist das zahlenmäßige Durchschnittsverhältnis der Hilfsarbeiter zu den selbständigen Gewerbetreibenden ebenso wie das Durchschnittsverhältnis der im Gewerbe Tätigen zur Einwohnerzahl im Laufe des Jahrhunderts nur eine sehr geringe Verschiebung auf. Ferner ist auch der von Wiedfeldt angenommene Maßstab, wonach die Zahl von 5 Gehilfen die Grenze zwischen Handwerk und Industrie bilden soll,
[1] Diese Rundschau ist mit „ego“ gezeichnet. Aus Briefen vom 28. und 30. November 1898 an Leo Jogiches geht hervor, daß Rosa Luxemburg die Verfasserin ist. (Siehe GB, Bd. 1, S. 235 u. 237.)