Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 309

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offenbar ziemlich willkürlich, da eine Schlosserwerkstatt mit 8 oder 10 Gehilfen immer noch ein handwerksmäßiger Betrieb, während ein Bankgeschäft mit 4 Kommis keineswegs ein solcher ist. Faßt man nur die summarische Statistik der Betriebe und der in ihnen Beschäftigten ins Auge, so ist sogar eher ein Schluß zugunsten des Kleinbetriebes als ein umgekehrter möglich. Bilden doch die Alleinbetriebe und die Kleinbetriebe mit höchstens 10 Gehilfen in Berlin nach der Gewerbezählung von 1895 93,96 Prozent der Gesamtzahl der gewerblichen Betriebe, während diejenigen, die mehr als 50 Arbeiter beschäftigen, also echte Großbetriebe, nicht einmal 1 Prozent darstellen.

Der große Fehler aller ähnlichen Berechnungen und der auf ihnen basierten Theorien liegt nun darin, daß gerade die soziale Geschichte des Klein- und Mittelbetriebes ihrem Wesen nach sich keineswegs in statistischen Zahlen ausdrücken läßt, wenigstens nicht in den beiden bis jetzt in Betracht gezogenen Rubriken: der Zahl der Arbeiter und der darin beschäftigten Arbeiter. Erstens ruft die Großindustrie selbst, während sie in bestimmten direkt in ihr Gebiet fallenden Zweigen den Kleinbetrieb von der sozialen Oberfläche wegfegt, wie z. B. in der Textilindustrie, in anderen Zweigen eine ganze Masse Kleinbetriebe zu ihren direkten Diensten als Hilfstruppen gleichzeitig ins Leben.

In einer Reihe anderer Fälle wird der Kleinbetrieb und speziell das Handwerk, während es in seinem äußeren Bestand nicht erschüttert wird, zugleich in seinem inneren Wesen gänzlich verändert, indem es in Hausindustrie verwandelt wird, wie die Konfektion. Drittens verschiebt sich die ganze ökonomische Lage des Handwerks dadurch, daß die Großindustrie ganz unabhängig von ihm quantitativ den Absatzmarkt immer mehr erobert, so daß das Handwerk einen beständig zusammenschrumpfenden Bruchteil der gesellschaftlichen Bedürfnisse befriedigt. In allen diesen Fällen kann die summarische Statistik des Kleinbetriebes ganz unverändert bleiben, während in seiner sozialen Lage die tiefgehendste Umwälzung Platz gegriffen hat. Wollte man wirklich die Geschichte des Kampfes zwischen Klein- und Großbetrieb in Zahlen darstellen, so müßten sich die statistischen Erhebungen auf folgende Punkte richten: die Lebensdauer jeden Betriebes, um die verhältnismäßige Lebensfähigkeit der beiden Gruppen, zweitens den Umfang der Produktion, um ihr gegenseitiges Verhältnis auf dem Absatzmarkt im ganzen festzustellen. Dann würde sich erst ergeben, daß die enorme Zahl der Kleinbetriebe, die manchen so imponiert, in ihrer Gesamtheit nur einen winzigen Teil der gesellschaftlichen Bedürfnisse befriedigt, während die geringe Zahl der groß-

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