viel weniger schmeichelhafte, denn nicht der Demokratie, sondern bloß einer unglücklichen Verkettung fataler Umstände verdanken wir die jetzige Redaktionsführung des Zentralorgans.
Indem die Partei ihr leitendes Organ dem Genossen Liebknecht anvertraute, einem Manne mit glänzender Feder, dessen Geschichte die der Partei, dessen politische Überzeugung die der großen Masse der Partei ist, wollte sie ein Zentralorgan haben, das seiner Richtung und seinem Talent entsprach.
Leider ist aber Genosse Liebknecht viel mehr als nur ein Chefredakteur und wird von seinen Pflichten als Reichstagsabgeordneter, als der beliebteste Agitator, endlich von seinen internationalen Pflichten so in Anspruch genommen, daß die Redaktionsführung tatsächlich in die Hände einer anonymen Gesellschaft ohne Talent, Meinung und Vergangenheit geraten ist, von deren Bestem sich nur sagen läßt, daß die Welt von seiner sozialistischen Gesinnung genau in der Stunde erfahren hat, als eine Redakteurstelle im „Vorwärts“ vakant wurde. Wäre dies nicht der Fall, so müßte Genosse Liebknecht, um den sehnlichsten Wunsch „der großen Armee der Parteigenossen“ zu erfüllen, einen großen Besen nehmen, die ganze Redaktion so gründlich ausfegen,“ daß der Staub fliegt, und einmal eine wirkliche Chefredaktion durchführen. Wir können aber den alten Liebknecht noch weniger auf den anderen Posten entbehren, und so erfreut sich die Demokratie in der Beuthstraße leider einer anarchischen Selbständigkeit.
Dies alles sagen wir nicht etwa, um den „Vorwärts“ zu kränken oder jemand zu ergötzen, sondern nur um handgreiflich zu zeigen, daß die Redaktion des „Vorwärts“ sich gründlich irrt, wenn sie glaubt, irgend jemand in der Partei zu befriedigen, und daß es notwendig ist, daß der kommende Parteitag wenigstens seinerseits zur Besserung der traurigen Lage tut, was sich unter den gegebenen Verhältnissen tun läßt.
Damit schließen wir unsererseits die Diskussion.
Berlin-Friedenau Rosa Luxemburg
Vorwärts (Berlin),
Nr. 228 vom 29. September 1899.