Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 657

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/657

schulten sozialistischen Macht erfordert, so bewies andererseits die Haltung der alten Organisationen, daß keine von ihnen allein sich dieser Aufgabe gewachsen fühlt.

Die Dreyfus-Krise hat auf diese Weise den französischen Sozialismus vor die Alternative gestellt: entweder Verzicht auf die Massenbeteiligung an den großen Tageskämpfen des Gegenwartsstaates, d. h. auf den eigentlichen Klassenkampf, oder Verzicht auf die Zersplitterung. Für die Einzelorganisationen lautete diese Alternative noch: entweder immer mehr den Einfluß auf die Massen an die Unabhängigen und damit die sozialistischen Zügel der Bewegung aus der Hand verlieren oder sich mit den Unabhängigen zu einer höheren Einheit zusammenfassen.

Das letztere ist durch den Kongreß im Gymnasium Japy bewerkstelligt worden.

Der heutige Zusammenschluß der Arbeiterparteien in Frankreich ist somit ein logisches Ergebnis der sozialen und politischen Entwicklung Frankreichs in dem letzten Jahrzehnt. Die Zersetzung der bürgerlichen Republik und der gleichzeitige Zusammenbruch des kleinbürgerlichen Radikalismus haben das Proletariat als einzigen Hüter der Republik und der Demokratie auf die politische Bühne gerufen. Es ist berufen, die großen nationalen Gegenwartsinteressen zu verfechten, sie aber dabei im Interesse der sozialistischen Zukunft in die Form des proletarischen Klassenkampfes zu gießen.

Diese zwiefache Aufgabe der Arbeiterklasse hat das Problem der sozialistischen Einigkeit zum erstenmal praktisch aufgestellt. Die Einzelorganisationen waren in ihrer Zersplitterung zur Wahrnehmung großer nationaler Aufgaben ungeeignet, ohne sozialistische Organisation konnte aber den politischen Massenbewegungen des Proletariats der Charakter des Klassenkampfes nicht gewahrt werden. Aus diesem Widerspruch mußte die sozialistische Einigung als Lösung hervorgehen.

In dieser geschichtlichen Begründung der gegenwärtigen Einigung liegen auch ihre Garantien für die Zukunft. Mag der Widerstreit der heterogenen Bestandteile innerhalb der jungen Gesamtpartei noch so heftig zutage treten, die sozialistische Einigkeit ist bereits zur geschichtlichen Notwendigkeit sowohl für die französische Republik wie für das französische Proletariat geworden.

Nächste Seite »