Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 456

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des Schippelschen Standpunktes die Frage nicht gelöst, sondern vielmehr erst gestellt. Die Schippelsche Veröffentlichung über die Miliz ist nicht nur eine Äußerung bestimmter Gedanken, sie ist auch noch eine politische Handlung. Womit sie von der Partei beantwortet werden muß, ist deshalb nicht nur Widerlegung der Ansichten, sondern gleichfalls politische Aktion. Und zwar muß die Aktion im Verhältnis zu der Tragweite der Schippelschen Äußerungen stehen.

Im Laufe des verflossenen Jahres wurden so ziemlich alle bisher als Grundsteine der Sozialdemokratie geltenden Postulate durch Angriffe aus unseren eigenen Reihen in ihrer unbestrittenen Gültigkeit erschüttert. Eduard Bernstein erklärte, ihm sei das Endziel der proletarischen Bewegung nichts. Wolfgang Heine zeigte durch seine Kompensationsvorschläge, daß ihm die hergebrachte sozialdemokratische Taktik tatsächlich nichts ist. Nun beweist Schippel, daß er auch direkt über das politische Programm der Partei erhaben ist. Fast kein einziger Grundsatz des proletarischen Kampfes blieb von der Auflösung in nichts seitens einzelner Vertreter der Partei verschont. Es bietet dies an sich ein durchaus nicht erfreuliches Gesamtbild. Jedoch man muß auch unter diesen sehr bedeutsamen Kundgebungen vom Standpunkte des Parteiinteresses unterscheiden. Die Bernsteinsche Kritik unseres theoretischen Guthabens ist zweifellos eine höchst verhängnisvolle Erscheinung. Allein der praktische Opportunismus ist für die Bewegung unvergleichlich gefährlicher. Die Skepsis in bezug auf das Endziel kann immer noch von der Bewegung selbst, solange sie in ihrem praktischen Kampfe gesund und kräftig ist, einfach weggefegt werden. Sobald aber die nächsten Ziele, also der praktische Kampf selbst, in Frage gestellt ist, dann wird die ganze Partei mitsamt Endziel und Bewegung nicht nur in der subjektiven Vorstellung dieses oder jenes Parteiphilosophen, sondern auch in der objektiven Erscheinungswelt – „nichts“.

Der Schippelsche Angriff zielt bloß auf einen Punkt unseres politischen Programms ab. Aber dieser einzige Punkt ist, angesichts der grundlegenden Bedeutung des Militarismus für den gegenwärtigen Staat, praktisch bereits die Verleugnung des ganzen politischen Kampfes der Sozialdemokratie.

In dem Militarismus kristallisiert sich die Macht und die Herrschaft ebenso des kapitalistischen Staates wie der bürgerlichen Klasse, und wie die Sozialdemokratie die einzige Partei ist, die ihn prinzipiell bekämpft, so gehört auch umgekehrt die prinzipielle Bekämpfung des Militarismus zum Wesen der Sozialdemokratie. Die Verzichtleistung auf den Kampf mit dem militärischen System läuft praktisch auf die Verleugnung des Kampfes mit der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung überhaupt hinaus.

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