Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 197

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Unternehmergruppe dauernd zur Richtschnur ihrer ökonomischen Politik den anderssprachigen Reichsteilen gegenüber machen, so müßte sie konsequenterweise auf diesem Wege fortfahren, um Finnland durch eine chinesische Mauer von Rußland abzuschneiden. Allein das gerade Gegenteil ist tatsächlich der Fall. Die Regierung hat bereits für das Jahr 1903 die gänzliche Aufhebung der russisch-finnländischen Zollgrenze und die Aufnahme Finnlands in das reichsrussische Zollgebiet angeordnet. Die „vaterländische“ Industrie wird somit der unbeschränkten Konkurrenz der „fremden“ ausgesetzt. Und wenn dies nicht schon früher geschehen ist, so sind daran wiederum nicht Rücksichten auf das Zetern einiger russischer Hüttenbesitzer schuld, sondern der Handelsvertrag mit Deutschland, wodurch sich das Zarenreich auf eine Reihe von Jahren gebunden hat. Es ist klar, daß die bevorstehende Reform den Anfang vom Ende der finnländischen Selbständigkeit in politischer Beziehung bedeutet, wenn sie auch vor allem auf die Vernichtung seiner ökonomischen Selbständigkeit ausgeht. Wir haben hier wieder vor uns ein Stück der allgemeinen Politik des Zarismus, der sich über alle partiellen Interessen hinwegsetzt, um die verschiedenen Reichsteile einerseits durch das Russifizierungssystem geistig zu nivellieren, andererseits durch die ökonomische Zusammenschweißung derselben der Reichseinheit ein festes materielles Gefüge zu geben und das Ganze in den eisernen Klammern der Alleinherrschaft zusammenzupressen – eine Politik, die wir bereits in Polen kennengelernt haben.

Freilich geht nicht alles in der Welt nach dem Wunsche der Regierenden. Indem die russische Regierung Polen ökonomisch dem Reiche einverleibt und den Kapitalismus als ein „Gegengift“ der nationalen Opposition kultiviert, zieht sie ebendadurch in Polen eine neue Gesellschaftsklasse – das industrielle Proletariat – groß, eine Klasse, welche ihrer ganzen Lage nach dazu getrieben wird, zum ernsten Gegner des absoluten Regimes zu werden. Und wenn auch die Opposition des Proletariats nicht einen nationalen Charakter haben kann, so kann sie unter Umständen nur um so wirksamer werden, da sie eben die von der Regierung so erwünschte Solidarität der polnischen und der russischen Bourgeoisie logischerweise mit einer politischen Solidarität des polnischen und des russischen Proletariats beantworten wird.[1] Diese ferneren Konsequenzen ihrer Politik

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[1] Diese Seite der Frage, mit der wir uns hier nicht näher befassen können, haben wir eingehender im Zusammenhang mit der politischen Entwicklung der polnischen Gesellschaft behandelt in den Aufsätzen: Der Sozialpatriotismus in Polen. In: Neue Zeit (Stuttgart), 1895/96. Nr. 41 [siehe GW, Bd. 1/1, S. 37–51]; Von Stufe zu Stufe. Zur Geschichte der bürgerlichen Klassen in Polen, l. c., 1897/98, Nr. 6 [siehe GW, Bd. 1/1, S. 94–111] und La questione polacca al Congresso internazionale di Londra, „Critica Sociale“, Revista quindicinale del Socialismo Scientifico (Mailand), 1896, Nr. 14. [Fußnote im Original]