Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 821

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dafür, wie die Sozialisten jegliche Freiheit der Religion und der Überzeugungen verteidigen, ist, daß die Sozialdemokratie im Parlament jedesmal für die Rückkehr der Jesuitenpater nach Deutschland stimmt.

Ebenso hat sich die Sozialdemokratie als erste und bisher einzige für unsere verfolgte Nationalität eingesetzt. Gleich nach dem letzten Anschlag des Ministers Studt waren die Sozialdemokraten die ersten, die für den 15. August 1900 in Posen eine große Volksversammlung im Lambertsaal einberiefen, um gegen diesen neuen Akt der Germanisierung zu protestieren. Das polnische Bürgertum, beschämt durch diese Energie der Sozialisten, arbeitete sich mit Mühe erst am 8. September mit seiner Versammlung hervor.

Auch die deutsche Sozialdemokratie beschäftigte sich auf ihrem Parteitag in Mainz[1] im September 1900 gleich am ersten Tag mit der polnischen Frage, brachte ihre höchste Empörung über das Vorgehen der Regierung zum Ausdruck und nahm einstimmig folgenden Antrag an, den die Delegierten aus Posen gestellt hatten:

„Der Parteitag beauftragt die Fraktion, die neuesten gegen den Gebrauch der polnischen Sprache in den Schulen der Provinz Posen gerichteten Maßnahmen der preußischen Regierung im Reichstag zur Sprache zu bringen und überhaupt die Behandlung der Polen als Bürger zweiter Klasse mit allem Nachdruck zu bekämpfen.“[2]

Von allen politischen Parteien beschloß die Sozialdemokratie als erste und bisher einzige, im Parlament das System des Regierungshakatismus zu brandmarken und Abrechnung mit den Urhebern dieses Systems zu fordern.

Diese Partei ist also in der deutschen Gesellschaft die einzige, auf die wir uns stützen und mit deren Hilfe und Freundschaft wir rechnen können. Und das ist keine geringe Hilfe, denn die Sozialdemokraten haben schon 56 Abgeordnete im Parlament und sind die stärkste Partei im Staat. Sie bekamen letztens bei den Wahlen 21/4 Millionen Stimmen[3]. Diese Partei wächst seit einem Jahr wie eine Lawine, alle Ausgebeuteten, Unterdrückten und Benachteiligten scharen sich um ihr Banner, während die Regierung, der Adel und die Kapitalisten mit Entsetzen auf die wachsende Macht des arbeitenden Volkes sehen. Zu dieser Partei muß auch das polnische arbeitende Volk Zuflucht nehmen, nur von ihr kann es brüderliche Hilfe und Schutz vor den Gewalttaten der deutschen Regierung erwarten.

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[1] Der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie in Mainz fand vom 17. bis 21. September 1900 statt.

[2] Siehe in diesem Text „Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 17. bis 21. September 1900 in Mainz“.

[3] Bei den Reichstagswahlen am 16. Juni 1898 hatte das Zentrum bei 18,8 Prozent der abgegebenen Wählerstimmen 102 Abgeordnete ins Parlament gebracht, die Sozialdemokratie bei 27,1 Prozent der Stimmen nur 56 Abgeordnete, während die Konservativen bei nur 11,1 Prozent der Stimmen ebenfalls 56 Abgeordnetensitze erhielten.