Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 816

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diese Umstände die katholische Partei geändert! Als die Bedrückung des Katholizismus aufhörte und da die eigene Haut nicht mehr schmerzt, hörte auch das Fremden angetane Unrecht auf, die Zentrumsleute zu interessieren. In diesem bunten Durcheinander von Schichten und Ständen, das die katholische Partei darstellt, gelangen die Magnaten, die Industriellen, mit einem Wort, die Parasiten und Reaktionäre immer mehr an die Spitze. Auch die ganze Politik des Zentrums nimmt eine andere Gestalt an. Verschwunden sind Mitleid und Sorge um das arme arbeitende Volk, verschwunden ist auch die Sorge um die Polen. Heute stimmt die katholische Partei im Parlament für die Erhöhung der Zölle, d. h. für die Verteuerung der Lebensmittel, erfindet selbst noch neue Steuern für die Bevölkerung, stimmt für die Vergrößerung des Heeres und der Flotte im „lieben deutschen Vaterland“; die Polen aber hat sie fast vergessen und zeigt ihnen nur von Zeit zu Zeit ein freundliches Gesicht, um sie an der Leine führen zu können und damit die polnischen Abgeordneten im Parlament wie früher auf das Kommando des Zentrums hören. Die Verteidigung des Katholizismus ist gegenwärtig für das Zentrum nur noch ein verblichenes Firmenschild, eine leere Phrase; endlich ist es an den Tag gekommen, daß eine Partei, die aus Magnaten, Grafen und Industriemillionären besteht, keine Verteidigerin der Bedrückten und Schwachen sein kann. Früher waren die Zentrumsleute Feinde der deutschen Regierung und Freunde des Volkes, heute sind sie Freunde der Regierung und Feinde des Volkes. Das sollte endlich unser polnisches Volk begreifen und aufhören, sich auf Grund vergangener, unwiederbringlicher Zeiten an die Türklinke der Katholikenpartei zu klammern.

Wir werden also bei keiner der genannten deutschen Parteien Schutz finden. Wenn die deutsche Regierung, wenn die preußischen Minister es sich erlauben, die Polen so offen zu verfolgen, und das Hakatistengesindel es wagt, uns laut anzukeifen, so tragen die Verantwortung dafür gerade alle die Klassen des deutschen Volkes, die entweder durch ihren Beifall oder ihr Schweigen oder durch heuchlerische Verteidigung des Polentums nur den Druck der Germanisierung aufrechterhalten. Es ist ihre Schuld, daß es die Regierung wagt, drei Millionen deutscher Bürger wie Wesen zweiter Klasse zu behandeln, denen es nicht einmal erlaubt ist, eine eigene Sprache zu haben und, wie man sagt, Gott auf ihre Weise zu preisen! Gegen das polnische Volk halten der Adel, die Magnaten, Fabrikanten, Bankiers und Kohlengrubenbesitzer, mit einem Wort, diese ganze Klasse der Reichen und Begüterten, die von fremder Hände Arbeit und der Ausbeutung des armen Volkes lebt, mit der deutschen Regierung zu-

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