Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 794

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zur Aktion, zur Tat überzugehen, verdampft die „Neutralität“ als eine Illusion, und es stellt sich die Frage ein, in welcher Weise die Agitation für den Arbeiterschutz getrieben werden soll, ob als eine nächste Forderung der zur völligen Befreiung strebenden Arbeiterklasse und im Zusammenhang mit ihr oder aber, umgekehrt, als ein Mittel, die sozialen Gegensätze auszugleichen und aufzuheben, das heißt, im Grunde genommen als ein Mittel gegen die sozialistische Befreiung der Arbeiterklasse. Der Übergang aus dem Bereich der Kongreßreden zu Taten muß deshalb zum unmittelbaren Ergebnis haben entweder den Zerfall der soeben zusammengeleimten Aktion in proletarischen Klassenkampf und bürgerliche Sozialphilanthropie, das heißt den Rückfall der letzteren in ihr Nichts, oder aber den Verzicht der sozialistischen Partei in diesem Kapitel auf den Klassenkampf und den Übertritt ihrerseits im Kampfe um den Arbeiterschutz auf den Boden der sozialen Interessenharmonie.

Vom Standpunkt des neuerdings in unseren Reihen modern gewordenen Gedankenganges könnte man jedoch einwenden: Die Art und Weise, wie die Agitation für den Arbeiterschutz geführt wird, ist an sich belanglos, das Resultat ist das allein Maßgebende. Wenn die Vereinigung mit bürgerlichen Freunden dieser Forderung uns zu greifbaren Erfolgen, zur tatsächlichen Stärkung des Arbeiterschutzes führen könnte, dann mag die Agitation hierfür beschaffen sein, wie sie wolle: Der Arbeiterschutz selbst ist unter anderen eine zum Sozialismus führende, ja, er ist gewissermaßen schon an sich eine partielle sozialistische Errungenschaft.

Allein, die Rechnung, durch Preisgebung des Klassenstandpunktes im Kampfe den Kampf positiv erfolgreicher zu gestalten, beruht hier wie sonst auf einem einfachen Rechenfehler. Die zersprengten bürgerlichen Elemente, mit denen vereinigt die Sozialisten größere Erfolge erzielen sollen, als sie es allein bisher vermochten, sind an sich, wie gesagt, in ihrer Arbeiterfreundlichkeit völlig macht- und bedeutungslos, und zwar bedeutungslos im eigenen Lager – in der bürgerlichen Klasse. Zur Macht und zum Einfluß soll ihnen gerade die Vereinigung mit der proletarischen Masse, mit den Sozialisten verhelfen. Und zwar eine Vereinigung, bei der die Arbeiter, die Sozialisten im Kampfe um den Arbeiterschutz auf ihren Standpunkt, auf den Standpunkt der „neutralen“, über den Klassen stehenden sozialen Wohltätigkeit hinübertreten. Das heißt, die Bedeutung der ideologischen Freunde des Arbeiterschutzes setzt voraus, daß sie uns zur Bedeutungslosigkeit herabdrücken, ihre Macht setzt voraus, daß es ihnen gelingt, unsere Macht zu brechen, der wir jedenfalls alles bis jetzt positiv Errungene verdanken.

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