Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 782

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/782

Hebung der Arbeiterschaft an sich nicht teuer, sondern bloß Mittel zur Beschleunigung der sozialistischen Umwälzung wäre, am Ausbau der Gewerkschaften arbeiten. Und sie müßte dazu „die innere Ruhe“ geradesogut finden, wie sie zur Teilnahme an dem bürgerlichen Parlamentarismus, zum Ausbau der Arbeiterschutzgesetzgebung, kurz, zu der ganzen Gegenwartsarbeit seit dreißig Jahren „die innere Ruhe“ hat. Zwischen der Sozialdemokratie, wie sie ist, und den Gewerkschaften, wie sie sind, kann also unmöglich ein Gegensatz, sondern muß vielmehr der innigste Zusammenhang bestehen.

Der Gegensatz ist nur in einem Falle denkbar. Wenn die Gewerkschaften etwa auf einem anderen Boden als gegenwärtig in Deutschland ständen, wenn sie sich z. B. wie die englischen Trade-Unions statt auf den Boden des Klassenkampfes auf den der Harmonie der Interessen in der heutigen Gesellschaft stellen und an eine Möglichkeit der ausreichenden Wahrung der Arbeiterinteressen innerhalb dieser Gesellschaft glauben würden, mit einem Worte, wenn sie sich auf den Boden der „richtigen“, „realistischen“, „historischen“ Methode des Herrn Sombart stellen würden, wie wir sie im I. Teile kennengelernt haben. Dann würde allerdings zwischen der Sozialdemokratie und diesen Gewerkschaften ein schroffer Gegensatz bestehen. Denn den Glauben an die Harmonie der Interessen in der kapitalistischen Gesellschaft, an die Möglichkeit einer unbeschränkten Steigerung des Anteils der Arbeit an dem Nationaleinkommen, alle die Illusionen der Vulgärökonomie zerstört die Sozialdemokratie allerdings unbarmherzig. Das Nebeneinanderbestehen solcher Gewerkschaften mit der Sozialdemokratie könnte auch nur zu der Alternative führen: entweder, daß die Arbeiter, der Sozialdemokratie folgend, den Harmonie- und Glückseligkeitsduseleien der „realistischen“ Methode Valet sagen, oder aber, daß sie, um den Illusionen dieser Methode treu zu bleiben, der Sozialdemokratie den Rücken kehren.

Und das ist des Pudels Kern, darin liegt die politische Bedeutung des Sombartschen Prophetentums in Gewerkschaftsfragen. Die „realistische“, „historische“ Methode fängt damit an, den Gewerkschaften unumschränkte Perspektiven wirtschaftlichen Aufstiegs zu eröffnen, um ihnen zum Schlusse die Sozialdemokratie als das wahre Hindernis dieses Aufstiegs zu denunzieren.

Aber verwahrt sich Herr Sombart nicht mehrmals gegen die Annahme, als hetze er die Gewerkschaften gegen die Sozialdemokratie? Schreibt er nicht ausdrücklich, sein Ideal eines Gewerkschaftlers könne „nebenbei auch überzeugter Sozialist, ehrlicher Sozialdemokrat sein“ (S. 64), und konsta-

Nächste Seite »