Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 781

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Nicht deshalb also besteht in Deutschland ein so inniger Zusammenhang zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaften, weil vielfach persönliche Bande sie liieren oder weil die Gewerkschaften „unter der Vormundschaft der Sozialdemokratie“ stehen, sondern weil die deutschen Gewerkschaften ihre Politik, ihren Kampf von Anfang an auf den richtigen Boden der sozialen Entwicklung gestellt haben, weil hier durch glückliche Fügung der Geschichte, die der historischen Methode des Herrn Sombart so mißfällt, dem Kampfe um Gruppen- und Augenblicksinteressen die Einsicht der Arbeiterklasse in ihre allgemeinen und dauernden Interessen vorausgegangen war.

Und wie die sozialdemokratische Sammlungspolitik zur Preisgabe des Endziels, so müßte die gewerkschaftliche Sammlungspolitik zur Preisgabe des gegenwärtigen fortschrittlichen Charakters der deutschen Gewerkschaftsbewegung führen. Sobald das einigende Band der sozialistischen Einsicht, der weiteren Perspektiven der sozialen Entwicklung abgestreift ist, treten wieder einzelne Gruppen- und Berufsinteressen, engherzige, nationale Interessen in den Vordergrund, was wir z. B. in England sehen, wie denn nirgends die nationale Abgeschlossenheit nach außen und die Zersplitterung im Innern so groß ist wie in dem Paradies der Neutralität, in der englischen Gewerkschaftsbewegung.

So verwandelt sich die gewerkschaftliche Sammlungspolitik bei näherem Zusehen in Zersplitterungspolitik, und die „Neutralitätsidee“ hält, wenn sie nur aus taktischen Rücksichten empfohlen wird, keiner ernsten Kritik gegenüber Stand.

Bei Herrn Sombart spielt aber auch der Gesichtspunkt der Sammlungspolitik nur eine sehr untergeordnete Rolle. Er leitet die Notwendigkeit, die Gewerkschaften von der Sozialdemokratie zu „emanzipieren“, nicht aus taktischen Gründen, sondern aus einem in ihrem Wesen liegenden Gegensatz ab.

Worin besteht nun dieser Gegensatz? Darin, daß die Sozialdemokratie nach Herrn Sombart die Gewerkschaften stets als „Mittel zum Zweck“ betrachte, während sie nur als „Selbstzweck“ gedeihen können. Aber wenn die Gewerkschaften, wie bis jetzt in Deutschland der Fall, auf demselben Boden der allgemeinen sozialen Entwicklung stehen, deren Schlußergebnisse die Sozialdemokratie in ihrem Endziel formuliert, so kann, sogar vorausgesetzt, daß die Darstellung des Herrn Professors der Wahrheit entspricht, zwischen „Mittel“ und „Zweck“, zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokratie keinerlei Gegensatz bestehen. Im Gegenteil, am eifrigsten müßte dann die Sozialdemokratie, selbst wenn ihr die unmittelbare

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