Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 771

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der Produktion und damit den Grundstein des kapitalistischen Systems beseitigen.

Könnten sie desgleichen die Reservearmee aus der Welt schaffen oder ihr ständiges Wachstum beschränken, dann brächten sie es damit fertig, den Proletarisierungsprozeß einzudämmen, d. h., sowohl das natürliche Ergebnis wie die gesellschaftliche Voraussetzung der kapitalistischen Produktion zu vernichten.

Dies bezieht sich aber alles auf die Bewegung des Reallohns des Arbeiters. Was seinen Anteil am gesellschaftlichen Einkommen betrifft, den Herr Sombart „jederzeit“ und ins ungemessene steigern will, so wird er direkt durch die kapitalistische Entwicklung systematisch herabgedrückt, wenngleich der Reallohn gleichzeitig wachsen mag. Und wollten die Gewerkschaften diesen tendenziellen Fall des relativen Lohnes aufhalten, so müßten sie das Lebensprinzip selbst der kapitalistischen Wirtschaft: die Entwicklung der Produktivität der Arbeit, lahmlegen, denn diese ist es, die die im Lebensunterhalt des Arbeiters steckende Arbeit und damit seinen Anteil am Gesamtprodukt in mechanischer Weise hinter dem Rücken der Beteiligten verringert.

Die Gewerkschaften können freilich – darin besteht ja ihre einzige Wirkungsmethode – durch Organisation des Angebots der Arbeitskräfte die Reservearmee und dadurch den sonst schrankenlosen Druck des Kapitals auf den geringsten mit seinen Profitinteressen noch verträglichen Grad beschränken. Behauptet aber Herr Sombart, daß sie bei der Lohnsteigerung überhaupt an keine Schranken gebunden sind, ja daß sie den Anteil des Arbeiters am Nationaleinkommen grenzenlos steigern können, so redet er den Arbeitern in letzter Linie nicht mehr und nicht minder ein, als daß sie auf gewerkschaftlichem Wege das kapitalistische Wirtschaftssystem beseitigen können.

Freilich ist die Lohnbestimmung wie die gesamte Verteilung des Nationalreichtums für Herrn Sombart, wie er selbst sagt, eine Machtfrage. Und das ist sie unbestreitbar in bestimmten Grenzen, d. h. an der sozialen Oberfläche, wo sich die wirtschaftlichen Gesetze im menschlichen Handeln, im persönlichen Zusammenstoß der Arbeiter und der Unternehmer, im Arbeitskontrakt äußern. Herr Sombart bemerkt aber die unter diesen Machtäußerungen liegenden, sie bedingenden und beschränkenden objektiven Gesetze nicht, er sieht das Verhältnis so, wie es dem Einzelinteressenten, dem einzelnen Arbeiter oder Unternehmer zum Bewußtsein kommt, und so entpuppt sich die nagelneue „richtige“, „realistische“, „historische“ Methode als die alte ehrliche – Vulgärökonomie.

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