Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 762

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aber als einzige „Sachverständige“ – preußische Polizeiorgane vernommen. Kein einziger der Verwalter des Rapperswiler Museums, kein einziger der Verwalter des Stipendienfonds des Museums, kein einziger Verwalter des „Nationalschatzes“ wird zur Verhandlung als Sachverständiger herbeigezogen!! Und hierher gehören allgemein bekannte, in der Öffentlichkeit stehende Persönlichkeiten, wie der bereits genannte Dr. Galẹzowski in Paris, wie der ehemalige Reichsratsabgeordnete Dr. Karl Lewakowski in Lemberg, der sowohl einer der Aufseher des Museums wie Anhänger des „Nationalschatzes“ ist, wie der Schriftsteller Milkowski (in der Literatur T. T. Jeź) in Genf, einer der Gründer des „Nationalschatzes“.

Endlich, was am frappantesten, es ist über die „hochverräterische“ Tätigkeit der auf schweizerischem Boden ihr Unwesen treibenden Institutionen das Gutachten der schweizerischen Behörden gar nicht eingeholt worden!! Wenn das Museum und der „Nationalschatz“ irgendeiner politischen Agitation dienen sollten, mußte doch vor allem die schweizerische Polizei darüber etwas wissen! Aber es ist eben Tatsache, daß seit dem Bestehen des Museums sowohl wie seit der Gründung des „Nationalschatzes“ keine einzige agitatorische Versammlung mit nationalen Zwecken von den beiden aus veranstaltet worden ist! Es werden wohl jedes Jahr zur Feier der polnischen Aufstände[1] in der Schweiz mehr oder weniger besuchte Versammlungen abgehalten, die aber weder mit den vielgenannten Institutionen etwas zu tun noch überhaupt einen anderen als nationalhistorischen Charakter haben.

Das Zeugnis der schweizerischen Polizei sowohl wie die Aufklärungen der wirklichen Sachverständigen, der offiziellen Vertreter des Museums und des „Nationalschatzes“, hätten die ganze Anklage wegen „Hochverrats“ zu einer grotesken Lächerlichkeit gemacht, und dieses Zeugnis wurde eben nicht eingeholt.

Ferner muß gleichfalls jedermann auffallen, daß der Hauptbelastungszeuge Ŝniegocki, wie sich aus der Verhandlung ergab, selbst der Gründer des Vereins in Dortmund war, dessen „hochverräterisches“ Treiben er nachher der Polizei denunzierte, und obendrein selbst in dessen Versammlungen für das Sammeln von Beiträgen für den „Nationalschatz“ eintrat, das er nachher den Angeklagten zur Last legte. Der Gewährsmann der Anklage fungierte also aller Evidenz nach nicht nur als Denunziant, sondern auch als Lockspitzel! Dies bestätigt zum Überfluß das ganze Benehmen der Angeklagten, die in allen Stücken sich als die unbewußt Hineingefallenen, die Opfer einer Machination, über die sie selbst im unklaren sind, offenbarten,

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[1] Eine Militärrevolte vom 29. November 1830 in Warschau verwandelte sich in einen Volksaufstand gegen die zaristische Fremdherrschaft. Mit der Einnahme von Warschau am 7. September 1831 durch zaristische Truppen wurde der Aufstand niedergeworfen. – Eine Welle von Bauernerhebungen 1860/61 führte zum Volksaufstand vom 22. Januar 1863 im Königreich Polen, in Litauen, Belorußland und Teilen der Ukraine gegen nationale und soziale Unterdrückung, der 1863/64 blutig niedergeschlagen werden konnte, weil keine nationale Führung bestanden hatte.