Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 761

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Der sog. Nationalschatz ist erst im Jahre 1887 in keinerlei Zusammenhang mit dem Museum durch den Aufruf eines bekannten in Genf lebenden polnischen Romanschriftstellers gegründet worden. Dieser „Nationalschatz“, der aus freiwilligen Beiträgen gesammelt wird, hat zum Zweck, wie jedermann aus dem überall erhältlichen, in Broschürenform in Paris herausgegebenen Aufruf ersehen kann, die Bildung eines Fonds, aus dem eine eventuelle polnische Regierung im Falle der Wiederherstellung Polens in der ersten schwierigen Zeit schöpfen und die notwendigsten Ausgaben bestreiten könnte. Der „Nationalschatz“ sollte also keineswegs selbst etwa als Kriegsfonds zur Wiederherstellung Polens, zur Vorbereitung eines Aufstandes oder dergleichen dienen. Im Gegenteil, er sollte ausdrücklich einen unantastbaren eisernen Fonds bilden bis zu dem Augenblick, wo eine polnische Regierung bereits erstanden wäre.

Wie sich der Gründer und die Anhänger des „Nationalschatzes“ diese Wiederherstellung Polens eigentlich vorstellen, auf welche Mittel sie dabei rechnen, läßt sich schwer sagen, weil nichts Bestimmtes dafür in Aussicht genommen wurde. Am ehesten läßt sich diese Sorte von Nationalismus als ein unbestimmtes Hoffen auf eine internationale Verwicklung, einen Krieg oder auf die europäische Diplomatie bezeichnen. Jedenfalls steht fest, daß an eine Vorbereitung des Aufstandes durch nationale Agitation nicht im geringsten gedacht wurde, und dies beweist am besten die vom Statut des „Nationalschatzes“ vorgesehene und bestimmte Verwendung seiner Zinsen. Diese sollen nämlich zu reinen Kulturzwecken, wie Volksaufklärung, Unterstützung armer Volkslehrer, Unterstützung der polnischen Kolonisationsbank in Posen und dgl., dienen.

Übrigens vegetiert die ganze Gründung des „Nationalschatzes“, die anfänglich einigen Lärm unter den polnischen Flüchtlingen im Auslande gemacht hat, in den letzten Jahren ganz still dahin, und die Mehrheit der polnischen Gesellschaft dürfte erst wieder durch den Leipziger „Hochverratsprozeß“ überhaupt an die Existenz des „Nationalschatzes“ erinnert worden sein. Diese beiden harmlosen Institutionen, die in voller Sonne der Öffentlichkeit in der Schweiz ihr Dasein fristen und von keinem Menschen und keiner Behörde bis jetzt als ein „hochverräterisches“ Unternehmen angeschaut worden sind, hat sich nun die preußische Polizei ausersehen, um daraus eine mit allem Ernst aufgeführte Komödie des „Hochverratsprozesses“ zu dichten.

Dabei fallen aber folgende Umstände jedem Unbefangenen sofort auf. Es wird des langen und breiten über den hochverräterischen Charakter des Nationalmuseums und des „Nationalschatzes“ verhandelt, dabei werden

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