Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 763

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Alle Erklärungen der Angeklagten zeigen deutlich, daß sie selbst eine höchst konfuse Vorstellung von den Dingen, die man ihnen zur Last legte, von dem Museum und dem „Nationalschatz“ haben. Die Behauptung des Verurteilten Leitgeber, „das Museum werde wohl von dem polnischen Zentralkomitee geleitet“, ist die glänzendste Probe seiner bodenlosen Unwissenheit in diesen Dingen. Das Rapperswiler Museum wird nämlich von einem öffentlich bekannten Kreis von Personen in der Schweiz, in Paris und in Galizien geleitet, deren Namen die Polizei jederzeit vom Kustos des Museums erfahren konnte; das „polnische Zentralkomitee“ ist dagegen ein Gebilde der erschrockenen Phantasie des Angeklagten, der allem Anschein nach überhaupt ein konfuser Kopf ist.

Ein ebenso leichtes Spiel wie mit den eingeschüchterten und ganz uninformierten Handwerkern, die als Angeklagte und Zeugen fungierten, hatte die Anklage mit den Verteidigern, die, der Dinge selbst offenbar unkundig, nicht darauf bestanden, daß man die berufenen Sachverständigen und das Zeugnis der schweizerischen Behörden einholte.

Alles in allem macht der Prozeß mit der hinfälligen Anklage, dem vorbestraften Lockspitzel als Hauptbelastungszeugen, den Polizisten als einzigen „Sachverständigen“ und den armen konfusen und konfus gemachten polnischen Handwerkern als Angeklagten einen unsagbar plumpen Eindruck.

Fatalerweise fällt der monströse Hochverratsprozeß gerade zeitlich mit der Ankündigung neuer antipolnischer Maßregeln, eines neuen Kreuzzuges gegen das Polentum zusammen. Ohne weiteres, an sich muß die offizielle Ankündigung neuer germanisatorischer Brutalitäten als gänzlich unmotiviert, als Gewaltpolitik sans phrase und sans raison erscheinen. Sollte nicht gerade der so glücklich eintreffende Hokuspokus des „Hochverratsprozesses“ als erwünschte „Begründung“ neuer antipolnischer Maßregeln fruktifiziert werden?

Die preußische Regierung wird es nicht verhindern können, daß in der öffentlichen Meinung der Verdacht tiefe Wurzeln schlägt, der ganze Dortmunder „Hochverrat“ sei bestellte Arbeit gewesen, um der bevorstehenden Ara des behördlichen Hakatismus einen Schein von Berechtigung zu geben!

Leipziger Volkszeitung,

Nr. 147 vom 29. Juni 1900.

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