Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 735

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nur von bürgerlichen Ökonomen verkannt, sondern auch in den Popularisationen der Marxschen Lehre meistens unberücksichtigt bleibt –, ist, daß Ricardo, entsprechend seiner allgemeinen naturrechtlichen Auffassung von der bürgerlichen Wirtschaft, auch das Wertschaffen für eine natürliche Eigenschaft der menschlichen Arbeit, der individuellen, konkreten Arbeit des Einzelmenschen hielt.[1]

Marx hingegen erkannte im Werte eine Abstraktion, eine von der Gesellschaft unter bestimmten Bedingungen gemachte Abstraktion, kam dadurch zur Unterscheidung der beiden Seiten der warenproduzierenden Arbeit: der konkreten, individuellen und der unterschiedslosen gesellschaftlichen Arbeit, durch welche Unterscheidung erst die Lösung des Geldrätsels wie im Scheine einer Blendlaterne hell in die Augen springt.

Um aber auf diese Weise im Schoße der bürgerlichen Wirtschaft, statisch, den zwieschlächtigen Charakter der Arbeit, den arbeitenden Menschen und den wertschaffenden Warenproduzenten, auseinanderzuhalten, mußte Marx vorher dynamisch, in der geschichtlichen Zeitfolge, den Warenproduzenten vom Arbeitsmenschen schlechthin unterscheiden, das heißt die Warenproduktion bloß als eine bestimmte historische Form der gesellschaftlichen Produktion erkennen. Marx mußte, mit einem Worte, um die Hieroglyphe der kapitalistischen Wirtschaft zu enträtseln, mit einer entgegengesetzten Deduktion wie die Klassiker statt mit dem Glauben an das Menschlich-Normale der bürgerlichen Produktionsweise, mit der Einsicht in ihre historische Vergänglichkeit, an die Forschung herantreten, er mußte die metaphysische Deduktion der Klassiker in ihr Gegenteil – in die dialektische – umkehren.

Der Fortschritt der Nationalökonomie über Smith-Ricardo hinaus, ihre Weiterentwicklung war also gerade bedingt durch die Überwindung der deduktiven Methode dieser Schule, zu der Schüller heute die Rückkehr predigt. Dies nicht nur, weil diese Methode, wie gesagt, der Erkenntnis feste Schranken setzte, sondern auch, weil diese Schranken von den Klassikern selbst bereits erreicht worden waren. In der Lehre Ricardos hat die klassische Methode der Ökonomie das Maximum geleistet, dessen sie

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[1] Diese Auffassung tritt noch krasser bei Ad. Smith zutage, der ja z. B. den „Hang zum Tausche“ direkt für eine Besonderheit der menschlichen Natur erklärte, nachdem er ihn vorher umsonst bei Tieren, wie bei Hunden etc., gesucht. Diese wie so manche andere Stelle hat bekanntlich späteren bürgerlichen Ökonomen vielfach zu überlegenem Lächeln und Achselzucken Anlaß gegeben. Die naseweisen Jünger Smiths ahnen gar nicht, daß in den von ihnen belächelten Naivitäten des alten Meisters gerade seine „klassische Deduktion“ am klassischsten zum Ausdruck kommt und daß sie, die bürgerlichen Ökonomen, mit jener Naivität auch das Simsonshaar, den Urquell ihrer Forschungskraft, unwiederbringlich verloren haben. [Fußnote im Original]