Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 731

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/731

den der einen wie der anderen fürchtend, brachten sie es nur fertig, bald die liberale Nationalökonomie vom feudalen Standpunkt, bald die romantischen Theorien vom liberalen Standpunkt zu bekämpfen, immer die Konsequenzen des Ausgangspunktes abzulehnen und auf halbem Wege stehenzubleiben.

Grundverschieden ist der Charakter der späteren, von Hildebrand-Roscher gegründeten historischen Schule. Während wir dort ein zünftiges Kleinbürgertum im Namen der mittelalterlichen Produktionsweise gegen die heranbrechende bürgerliche Ordnung protestieren sehen, ist es hier die moderne Bourgeoisie selbst, die gegen die Konsequenzen ihrer eigenen Klassenherrschaft Einspruch erhebt.

Die klassische Nationalökonomie hatte mit unüberwindlicher Logik überall am Schlusse zum Umschlag in eine Selbstkritik, in die Kritik der bürgerlichen Ordnung geführt. In England bildet Ricardo den unmittelbaren Ausgangspunkt einer ganzen Schule englischer Sozialisten (Thompson, Gray, Bray u. a.), in Frankreich folgt dem ersten Verflacher der klassischen Ökonomie, Say, auf dem Fuße Sismondi, in Deutschland finden wir sozialistische Anklänge schon bei Rau, dem Thünen und Rodbertus folgen; bei Marx ist der Umschlag der klassischen Ökonomie in ihr Gegenteil, in die sozialistische Analyse des Kapitalismus, vollendet.

Die sozialistische Kritik, die Konsequenzen, konnte man nur leugnen, wenn man den Ausgangspunkt, die klassische Ökonomie, überwunden hatte. Die Ergebnisse der Untersuchung der bürgerlichen Warenwirtschaft, wie sie die klassische Lehre in einem festgefugten System bot, ließen sich nicht schlechtweg negieren noch korrigieren. Es blieb nichts anderes übrig, als die Untersuchung selbst, die Methode zu bekämpfen. Hatte die klassische Ökonomie die Erkenntnis der Grundlagen und der Grundgesetze der bürgerlichen Wirtschaft zum Zwecke, so stellt sich die historische umgekehrt die Mystifizierung über die inneren Zusammenhänge dieser Wirtschaft zur Aufgabe. Bei der alten historischen Schule war die Abneigung gegen das „Nivellierende“, das „Kategorische“ des klassischen Liberalismus bloß ein Protest der mittelalterlichen Mannigfaltigkeit und Spezialisierung der Verhältnisse, wie sie dem sozialen Charakter der vorkapitalistischen Produktionsweise entspricht. Hier, bei Koscher-Knies-Hildebrand, ist die „historische“ Kritik der „absoluten Theorien“ des Klassizismus ein Protest der bürgerlichen Gesellschaft gegen die Erkenntnis ihrer eigenen inneren Gesetze. Da die Verschleierung dieser Gesetze aber der Zweck, der „historische“ Beruf, das Existenzrecht der neueren historischen Schule war, so erhebt sie auch die Verkennung der Gesetze der gesell-

Nächste Seite »