Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 698

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Tarif, willst du ihn nicht, so habe ich für dich den anderen ebenso fertigen schutzzöllnerischen Tarif in der Tasche. Nur ein Entweder–Oder hat Deutschland dann für die anderen Handelsstaaten übrig.

Es ist klar, daß von einem Zustandebringen von Handelsverträgen unter solchen Verhältnissen nur in ganz seltenen Ausnahmefällen die Rede sein kann. Den meisten Staaten wird dadurch, daß man ihnen mit ganz fertigen, ohne ihre Mitwirkung ausgearbeiteten Tarifen und einem brutalen Ultimatum die Pistole auf die Brust setzt, die Abschließung eines Vertrages mit Deutschland schlechthin unmöglich gemacht. Der deutsche Konventionaltarif würde in den meisten Fällen nur eine leere Form bleiben, der Generaltarif, das heißt der höchste, autonom ausgearbeitete Tarif, die Regel bilden. Das wäre aber nichts anderes als die Verwandlung desselben Zollkrieges, den die Agrarier angeblich in Ausnahmefällen verbannen wollten, in eine permanente Einrichtung.

Eine andere Konsequenz dieses Zollsystems wäre selbstverständlich – was das Junkerblatt wohlweislich verschweigt – die allgemeine Aufhebung der Meistbegünstigungsverträge seitens Deutschlands. Soll doch der Konventionaltarif in jedem einzelnen Falle nur gegen bestimmte Zugeständnisse zur Anwendung kommen!

Aber damit nicht genug. Der ganze Charakter der Zollpolitik soll grundsätzlich verändert werden. Wenn bis jetzt der Volksvertretung fertige Verträge à prendre ou à laisser vorgelegt wurden, so soll von nun an genau in derselben Weise mit den Vertragsstaaten verfahren werden. Und damit ist das ganze Verhältnis auf den Kopf gestellt.

Waren die bisherigen Tarife ein Ergebnis der Verhandlungen der deutschen Regierung mit anderen Staaten, ein Produkt der gegenseitigen Machtverhältnisse, der gegenseitigen Handelsinteressen dieser Staaten, so sollen sie nach dem agrarischen Programm umgekehrt ein Ergebnis der Verhandlungen der Regierung mit den Parteien im Reichstag, ihrer gegenseitigen Machtverhältnisse, ihrer gegenseitigen politischen Interessen sein. Nicht das Gleichgewicht im Warenverkehr zwischen Deutschland und seinen Nachbarn – Rußland, Österreich, Frankreich usw. –, sondern das jeweilige Gleichgewicht zwischen der Reichsregierung und den Agrariern im Reichstag soll über den Zolltarif entscheiden. Der Schwerpunkt der Zollpolitik wird aus dem internationalen Verkehr – in die „Volksvertretung“, d. h. in die Hände der bürgerlichen Parteien verlegt.

Abschaffung der Meistbegünstigungsverträge, Rückentwicklung der Handelsvertragspolitik zur autonomen Zollpolitik, Inaugurierung des Zollkriegs als ständiger Einrichtung und Verwandlung der Handelsver-

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