Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 692

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junge Kibaltschitsch, der seinen bleichen, genialen Kopf stolz dem Henker bot, der asketische Willensriese Michailow und die Hunderte anderer – sie waren alle Lawrows geistige Kinder, sie hatten alle noch als blutjunge Studentlein und Gymnasiasten spät in der Nacht mit glühenden Wangen die „Historischen Briefe“ verschlungen.

Nach drei Jahren Verbannung floh Lawrow mit Hilfe seiner Genossen aus Wologda nach dem Auslande und kam nach Paris, wo er die Kommune miterlebte. Tief ergriffen durch das gewaltige revolutionäre Drama, schrieb er später auf das Drängen seiner Jünger hin eine kleine Untersuchung: „Der 18. März“, worin er aus eigener Anschauung die Geschichte der Kommune erzählt und kritisch erläutert.

Bald beginnt aber seine eigentliche sozialistische Tätigkeit im Auslande. 1872 übernimmt er in Zürich die Redaktion des „Wperjod“ (Vorwärts), die er bis 1876 führt. Hier steht er noch auf demselben Standpunkte insofern, als er immer noch in der friedlichen Propaganda der sozialistischen Ideen den wichtigsten Hebel der Revolution erblickt. Der von ihm gepredigte Sozialismus selbst zeichnet sich hier aber durch eine weit größere Bestimmtheit und Festigkeit vor dem der „Historischen Briefe“ aus. Lawrow fußt im „Wperjod“ bereits in ausgesprochener Weise auf der allgemeinen Marxschen Lehre; die ökonomische Grundlage des Sozialismus wird – im Gegensatz zu einer anderen in Rußland damals vorherrschenden Richtung – mit großem Nachdruck betont.

Der revolutionäre Kampf in Rußland ging übrigens damals andere Wege, als ihm Lawrow in seiner Zeitschrift wies. Die Unfruchtbarkeit der friedlichen Propaganda und der Druck des Absolutismus hatten die sozialistischen Scharen mit Elementarkraft in die Bahn eines tatkräftigen politischen Kampfes getrieben: 1879 wurde die terroristische Partei „Narodnaja Wolja“ (Volkswille) organisiert, und 1881 krachte der große Donnerschlag in den Zwinger der russischen Zarenherrschaft[1], daß die ganze zivilisierte Welt erstaunt widerhallte.

Auf die Höhe der politischen Macht, die sie mit dem Attentat auf den zweiten Alexander erschwungen, ist die „Narodnaja Wolja“ nie mehr gekommen. Aber eine moralische Macht blieb sie noch bis gegen Ende der 80er Jahre, und sie beherrschte in dieser Zeit vollkommen die sozialistische Bewegung in Rußland. 1883 gründet die Partei im Auslande ein periodisches Organ: „Westnik Narodnoi Woli“ (Bote des Volkswillens). Und es ist der größte Beweis der Verehrung und des Einflusses, die Law-

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[1] Am 13. März 1881 war Zar Alexander II. bei einem Bombenanschlag der Narodowolzen getötet worden.