Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 674

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offensichtlich von vornherein im Widerspruch mit einer rein bürgerlichen, in den Schranken der kapitalistischen Produktionsweise sich bewegenden Wirtschaftstheorie. Und so führt auch die höchst moderne Grundidee bei Ehrenberg zu höchst unmodernen praktischen Schlußfolgerungen.

Als Aufgabe der Handelspolitik deduziert er nämlich aus seinem Ausgangspunkt die Vereinigung der Interessen der Volkswirtschaft mit den Interessen der Weltwirtschaft, das heißt Pflege und Schutz nationaler Produktivkräfte zugleich mit internationalen Verkehrsinteressen. Als solche nationalen schutzbedürftigen „Produktivkräfte“ erkennt er vor allem die deutsche Landwirtschaft.

„Unser Getreidebau und unsere Tierzucht benutzen viel zu wichtige Produktivkräfte, als daß wir sie einer Krisis opfern dürften, die vielleicht lange, aber nicht ewig dauern kann. Um jene Produktivkräfte vor einem Verfalle zu bewahren, wie es in England bereits eingetreten ist, muß das deutsche Volk zeitweilig das Opfer höherer Lebensmittelpreise bringen.“[1] Mit anderen Worten: Um die spezifische ostelbische Junkerkultur mit all ihren herrlichen sozialpolitischen Folgeerscheinungen dem Vaterlande zu erhalten – denn dies ist im Grunde genommen die „nationale Produktivkraft“, die von der gegenwärtigen Agrarkrisis in ihrer Existenz bedroht ist –, muß dem arbeitenden Volke „zeitweilig“ das Fell über die Ohren gezogen werden.

Übrigens findet Ehrenberg noch ebenso schutzbedürftiger „nationaler Produktivkräfte“ die Hülle und Fülle in der Industrie. So große Zweige der Textilindustrie, z. B. die Streichgarnspinnerei und Weberei, der größte Teil der Baumwollindustrie, die Strumpfwirkerei, die Posamentenfabrikation, ansehnliche Teile der Seidenindustrie, ferner die Müllerei, die Zuckerindustrie und „eine Reihe anderer Industriezweige“, in denen Ehrenberg immer diese oder jene „nationale Produktivkraft“ des Schutzes würdig findet und der zu regelnden Handelspolitik zur Berücksichtigung empfiehlt.

Wo bleibt aber bei alledem „die Weltwirtschaft“? Auch hier weiß Ehrenberg Rat. Um bei der Pflege der aufgezählten „nationalen Produktivkräfte“ zugleich die Interessen des internationalen Verkehrs zu berücksichtigen, schlägt er vor, zunächst durch autonome Zolltarifrevision die Zölle in allen aufgezählten Fällen, namentlich bei den agrarischen Produkten, über das wirkliche Bedürfnis zu erhöhen, um auf diese Weise ein Kompensationsobjekt für die abzuschließenden Handelsverträge zu gewinnen. Eine Idee, die ihm ebenso als Mann der Wissenschaft wie als

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[1] l., c., S. 65.