Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 550

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Vereinigten Staaten, Japan, Rußland eine nennenswerte Großindustrie entwickelt haben.

Ob also eine Weltkrisis, ob die partiellen Krisen bald oder nicht bald eintreten, das sind sehr untergeordnete Fragen, die man auch gar nicht beantworten kann. Genug, die allgemeine Überproduktion in dieser oder jener Form muß und wird über kurz oder lang eintreten. Und dies ist es, was das Todesurteil für die kapitalistische Gesellschaft bedeutet.

Freilich braucht deshalb letztere gar nicht einmal bis zur äußersten Grenze der Überproduktion am Leben zu bleiben.

Die unheilbar chronische Überproduktion, sie bedeutet die letzte Grenze, bis zu der das kapitalistische Regime sich überhaupt behaupten kann, sie braucht nicht notwendigerweise seine Todesursache zu bedeuten. Die materialistische Geschichtsauffassung kennt neben dem ökonomischen Zwange noch andere Faktoren der sozialen Entwicklung, die zwar ökonomisch motiviert, aber nichtsdestoweniger vielfach ideeller, ethischer Natur sind und die wir zusammenfassen in der Formel des Klassenkampfes. Der Klassenkampf des Proletariats kann zum Umsturz der kapitalistischen Produktionsweise führen, ehe noch diese in das Stadium ihrer Verwesung eingetreten. Wenn der Hinweis auf die chronische Überproduktion nicht gleichbedeutend ist mit der Prophezeiung der großen Weltkrisis, so überhaupt nicht mit der Prophezeiung einer besonderen Art des Untergangs der kapitalistischen Produktion. Seine Bedeutung besteht darin, daß er durch Festsetzung einer äußersten Grenze der Lebensfähigkeit der heutigen Gesellschaft den Sozialismus aus jenem nebelhaften Bereich, in das ihn heute so viele Sozialisten verweisen, uns näher rückt, so daß dieser aus einem Ziel, das vielleicht nach 500 Jahren verwirklicht werden dürfte – vielleicht auch nicht –, ein absehbares und notwendiges Ziel praktischer Politik wird.

Aber die Kartelle? Sind dies nicht Mittel, die Produktion einzuschränken und zu regulieren, also der Überproduktion und den Krisen vorzubeugen? Ja, im Innern des Landes sucht jedes Unternehmerkartell das Angebot einzuschränken, aber nur um die Schleuderkonkurrenz im Auslande nur um so mehr zu verschärfen, also einer Überproduktion geradezu vorzuarbeiten. Bernstein muß das zugeben, wirft aber ein: „‚In der Regel‘ geht dies Manöver nur da an, wo dem Kartell ein Schutzzoll Deckung gewährt [Hervorhebung – R. L.], der es dem Ausland unmöglich macht, ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen.“[1] Die regulierende und rettende Tätig-

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[1] Eduard Bernstein: Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie, S. 78.