Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 548

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schon die langsame Hebung seiner Lebenslage auch in physischem Sinne, während der Reichtum der Bourgeoisie, die Produktivität der Arbeit in reißendem Tempo wachsen. Das beweisen ferner die Zunahme der Frauen-und Kinderarbeit, die relative Abnahme der Eheschließungen usw.

Ist die Lage der Proletarier eine elende und geknechtete, so muß die Masse des Elends und der Knechtschaft innerhalb des gesamten Volkes in dem Grade wachsen, in dem das Proletariat an Zahl den übrigen Volksklassen gegenüber zunimmt; und daß es allenthalben wächst, ist eine unleugbare Tatsache.

Aber die Zunahme der Zahl der Proletarier im Volke ist selbst wieder nur ein Symptom, freilich auch wieder eine Ursache wachsenden Elends in den anderen Volksklassen.

Eine Erhebung aus physischem Elend tritt allerdings früher oder später für viele Schichten der Lohnarbeiterschaft ein. Aber die kapitalistische Produktionsweise ist in ständigem Fortschreiten begriffen, erobert beständig neue Gewerbszweige und neue Gegenden, in denen sie die Besitzer von selbständigen Kleinbetrieben degradiert, proletarisiert, ins Elend schleudert, und dieser Prozeß kann kein Ende nehmen außer mit der kapitalistischen Produktionsweise selbst.

Der dritte Haupteinwurf Bernsteins gegen die wirtschaftlichen Grundlagen des sozialdemokratischen Programms bezieht sich auf die Krisen. Bernstein unterstellt, daß die Sozialdemokratie ihre Aussichten auf den sozialistischen Sieg von einer Weltkrisis abhängig mache, und er beweist mit allen Mitteln, daß eine solche in nächster Zeit nicht zu erwarten ist. Selbstverständlich handelt es sich wiederum um seine eigene Erfindung. Die Marxsche Lehre hat nur nachgewiesen, daß Krisen sich aus der kapitalistischen Entwicklung mit Naturnotwendigkeit ergeben und daß diese Entwicklung die Tendenz habe, die Krisen stets zu verschärfen und schließlich zu einer ausweglosen Überproduktion zu führen.

Ob dies richtig oder ob wir einer immer geregelteren, krisenlosen kapitalistischen Entwicklung entgegengehen, wie Bernstein annimmt, ist der Kern der Frage.

Die Tendenz zur Krisenbildung selbst ergibt sich aus der einfachen und unbestreitbaren Tatsache, daß, während eine unaufhörliche Erweiterung eine Lebensbedingung der kapitalistischen Produktion ist und während diese Erweiterung an sich schrankenlos ist, die Absatzmöglichkeit, der Markt, sowohl der innere wie der äußere, in jedem Lande seine Grenzen hat. Derselbe Widerspruch zwischen der Ausdehnung der Produktion und den Schranken des Marktes muß mit Naturnotwendigkeit früher oder

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