Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 543

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Drittens wird der Grundbesitz von der Landwirtschaft immer mehr getrennt, ebenso durch das Pachtsystem wie durch die Hypothekenschulden. Die Wirtschaften mit ganz oder teilweise gepachtetem Boden bildeten 1882 44 Prozent, 1895 schon 47 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe. Die Hypothekenschulden wachsen gleichfalls stark, und wenn sie auch nicht notwendig den Niedergang der Landwirtschaft bedeuten, so bewirken sie jedenfalls, daß der Grundbesitz in Form der Grundrente durch die modernen Kreditanstalten, Banken, Sparkassen u. dgl., immer rascher konzentriert wird, wobei das Interesse der jetzigen Landwirte am Privateigentum an Grund und Boden, des sie selbst stufenweise verlustig gehen, immer geringer wird.

So führt die Analyse der Verhältnisse auf dem Lande zu dem Ergebnisse – hier entwickelt Kautsky die leitenden Gesichtspunkte seines Buches über die Agrarfrage –, daß die Landwirtschaft immer mehr ihren selbständigen wirtschaftlichen Charakter und damit ihre soziale Bedeutung verliert. Die Verwandlung der Kleinbauern in Lohnarbeiter, die steigende Verquickung von Landwirtschaft und Industrie, die Zunahme des Pachtsystems und der Hypothekenschulden, die immer mehr in großen gesellschaftlichen Instituten zentralisiert werden, alles dies bewirkt eine Einverleibung der Landwirtschaft in den gesellschaftlichen Produktionsprozeß. So wird die Marxsche Prognose der kapitalistischen Entwicklung auch auf dem flachen Lande bestätigt. Nicht direkt, indem sie einen der Industrie analogen selbständigen Konzentrationsprozeß durchmacht, sondern umgekehrt, indem sie immer mehr ihre wirtschaftliche Selbständigkeit verliert, wird die Landwirtschaft in den allgemeinen Strom der kapitalistischen Entwicklung hineingezogen, deren Hauptzug die Konzentration des Kapitals ist.

Das letzte und reifste Ergebnis dieses Prozesses sind eben jene Kartelle, Trusts und Syndikate, deren sich Bernstein erst erinnert, wo sie gegen Marx zeugen sollen, bei der Behandlung der Krisentheorie, und die er ganz vergißt, wo sie der sprechendste Beweis für die Richtigkeit der Marxschen Konzentrationstheorie sind.

Bernstein hat nichts gebracht, was uns veranlassen könnte, von der Marxschen Theorie der fortschreitenden Konzentration des Kapitals abzuweichen. Die Gewerbezählung ebenso wie das Aufkommen der Kartelle und Trusts bestätigen sie aufs glänzendste, und die landwirtschaftliche Entwicklung zeigt sich mit ihr nicht unvereinbar.

Fortschreitende Konzentration des Kapitals heißt aber fortschreitende Verminderung (wenigstens relative) der kleineren Unternehmungen, Zu-

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