Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 507

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seinem „Hier steh' ich, und ich kann nicht anders“ glich, daß er vielmehr sehr oft „auch anders konnte“.

Allein die Haltlosigkeit der beiden Minister war zweifellos nicht die Ursache, sondern vielmehr die logische Voraussetzung ihrer Tätigkeit. Es gehört eben von vornherein ein hohes Maß von Charakterlosigkeit dazu, um in den gegebenen Verhältnissen als Minister fungieren zu können. Die wahre Ursache liegt also tiefer. Namentlich in dem ersten hervorgehobenen Moment, in der politischen Unmündigkeit des Volkes.

Wie kann es um die Tätigkeit eines Ministers stehen, der nicht von der Volksvertretung, sondern persönlich vom Staatsoberhaupt bestellt wird? Welche allgemeine Richtschnur, welche feste Grundlage hat er für seine Tätigkeit? Er vertritt die Interessen, die Bestrebungen keiner Partei, bloß den persönlichen Willen seines Souveräns. Aber wenn dieser Wille, wie jeder menschliche Wille, plötzlichen Veränderungen unterliegt, so muß auch der Minister tanzen, wie man ihm aufspielt – bald nach rechts, bald nach links, bald vorwärts, bald rückwärts. Da sich aber materiell ohne die Mitwirkung der Volksvertretung auch der fürstliche Wille nicht verwirklichen läßt, so ist der Minister ferner gezwungen, gleichzeitig auch mit den Parteien der Volksvertretung sein Auskommen zu suchen, indem er, da er eigentlich keine Partei vertritt, bald dieser, bald jener seine Reverenz erweist. So wird die System- und Charakterlosigkeit zum eigentlichen System und Charakter des Ministeriums. Diese bringt es aber als unzertrennliche Folge mit sich, daß mit der Tätigkeit des Ministeriums niemand im Lande befriedigt werden kann, nicht die Parteien der Volksvertretung, weil sie kein System sehen und weil sie die Minister nicht als ihre Geschäftsführer betrachten, und nicht das Staatsoberhaupt, weil es mit solchen Werkzeugen seinen Willen tatsächlich nicht verwirklichen kann.

Der gegenwärtig vorliegende außerordentliche Fall ist also nicht auf die Personen und ihre Eigenschaften, sondern einzig auf das System, auf das persönliche Regiment, zurückzuführen. Dieses ist es, das die Minister zu willenlosen Werkzeugen macht, die es dann selbst zerbricht, und es ist nur das System des parlamentarischen Ministeriums, die Verantwortlichkeit der Minister vor der Volksvertretung, das hier Wandel schaffen kann.

Das persönliche Regiment dreht sich, indem es immer wieder seine Werkzeuge wechselt, im geschlossenen Kreise – im Kreise des eigenen inneren Widerspruchs. Dieses Regiment selbst entstammt dem Drang nach Taten, nach kraftvollem Wirken, nach energischem Schaffen. Aber es kann mit so gearteten Beauftragten kein Schaffen, kein Wirken, keine Taten

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