Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 479

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Wie die Kapitalistenklasse eines aufstrebenden Landes sich vor allem durch Gewandtheit und Biegsamkeit der Produktions- und Handelstechnik auszeichnet (siehe England bis in die sechziger und siebziger Jahre, und gegenwärtig Deutschland), so stellt sich in einem, industriell zurückgehenden Lande als erstes untrügliches Zeichen die Rückständigkeit und Plumpheit der Methoden in der Produktion und im Handel ein. Letzteres ist jetzt in England der Fall, und seit einigen Jahren bilden in den britischen Konsularberichten die Klagen über die Apathie und Steifheit der englischen Kaufmannschaft eine stehende Rubrik. Was die Produktionsmethoden betrifft, so wird England gegenwärtig – eine vor kurzem noch unerhörte Tatsache – durch fremde Konkurrenz und zum Schutze des eigenen einheimischen Marktes zur Einführung moderner Produktionstechnik gezwungen. Siehe z. B. die gegenwärtige Umwälzung in der englischen Weißblechindustrie unter dem Druck der nordamerikanischen Konkurrenz.[1]

Der schwankende Boden, die Unstetigkeit der kommerziellen Lage und der oft schlechte Geschäftsgang führen ihrerseits ebenso im Verhalten der englischen Bourgeois wie der englischen Arbeiterschaft einen Frontwechsel herbei. Die allgemeine Depression in der englischen Industrie wird vorläufig noch aufgewogen und gedeckt durch die von dem internationalen Militarismus und Handel geschaffene Nachfrage für den Schiffsbau, der seinerseits eine Reihe wichtiger Zweige, wie die Metallindustrie, unterstützt. Allein auch hierin droht England bald die Konkurrenz Deutschlands.

Wenn in den Zeiten der Prosperität die Zugeständnisse an die Arbeiter für das Kapital unfühlbar waren, so wird es gegenwärtig immer empfindlicher und reizbarer. Das Einigungsverfahren wird ihm unbequem, und es benutzt die Schiedssprüche der Einigungskammern dazu, „um höhere Forderungen der Arbeiter abzuweisen“, dagegen zu anderen Zeiten macht es „von der strategischen Stellung Gebrauch, um die Arbeiter zur Annahme von ungünstigeren Bedingungen zu zwingen als ihnen nach den Schiedssprüchen der Einigungskammern zukamen“.[2] Andererseits bringt für die Arbeiter das System der gleitenden Lohnskalen, das ihnen früher den Anteil an dem industriellen Hochgang sicherte, nunmehr, mit dem Niedergang der Geschäfte, immer öfters nur Nackenschläge ein. Die Gewerkschaften wenden sich entschieden von diesem Lohnsystem ab. Mit dem Aufgeben des gleitenden Lohnsystems seitens der Arbeiter und der syste-

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[1] Deutsche Industrie-Zeitung, Mitte Dezember 1898. [Fußnote im Original]

[2] Webb: Theorie und Praxis der englischen Gewerkschaften, I, S. 182. [Fußnote im Original]