Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 474

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Auf der anderen Seite und zweifellos im engsten Zusammenhang mit obigem greift auch in der Arbeiterbewegung selbst ein wichtiger Umschwung Platz. In den zwanziger, dreißiger und anfangs der vierziger Jahren sehen wir sie für politische und soziale Reformen, für umfassende Pläne, für sozialistische Ideen sich begeistern. „Im Rat sind sie (die Arbeiter) Idealisten, die von einem neuen Himmel und einer neuen Erde träumen, Humanitäre, Erziehungsfreunde, Sozialisten, Moralisten.“[1] Unter dem Einfluß von Owens Lehren, schreibt Francis Place, kamen die Trade-Unionisten zu dem Glauben, daß es möglich sei, durch einen allgemeinen nichtpolitischen Bund aller Lohnarbeiter die Löhne zu heben und die Arbeitszeit zu verkürzen „in einem solchen Grade, daß ihnen in nicht zu ferner Zeit die ganzen Erzeugnisse ihrer Arbeit gehören würden“[2]. Einen greifbaren Ausdruck fand die damalige Klassenbewegung in England in der Organisation des allgemeinen Arbeiterbundes (Grand National Consolidated Trades Union), der sich im gewerkschaftlichen Kampfe als eine recht ungelenke Organisation erwies und auch bald in die Brüche ging, aber die Idee der Klasse und ihrer allgemeinen Zusammenfassung zum gemeinsamen Ziel deutlich zum Ausdruck brachte. In der Chartistenbewegung sehen wir gleichfalls das englische Proletariat – hier durch politische Aktion – zu sozialistischen Zielen streben.

Dies ändert sich alles mit dem Anfang der fünfziger Jahre. Nach dem Scheitern des Chartismus und der owenistischen Bewegung wendet sich die Arbeiterschaft von den sozialistischen Zielen ab und den ausschließlichen alltäglichen Forderungen zu. Die in der Großen Trade-Union Owens – wenn auch sehr unvollkommen – zusammengefaßte Klasse zerbröckelt vollständig in einzelne Gewerkvereine, die jeder auf eigene Faust die Aktion führen. An Stelle der Emanzipation der Arbeiterklasse tritt als Leitstern die möglichst günstige Gestaltung des „Mietsvertragsgeschäfts“, an Stelle des Kampfes mit der bestehenden Ordnung das Bestreben, sich auf dem Boden dieser Ordnung behaglich einzurichten, mit einem Worte: an Stelle des sozialistischen Klassenkampfes bürgerlicher Kampf um bürgerliche Existenz.

Die Trade-Unions haben ihre Erfolge auf zwei Wegen erreicht: durch unmittelbaren Kampf mit dem Unternehmertum und durch den Druck auf die Gesetzgebung. In beiden Fällen aber verdanken sie die Erfolge gerade dem bürgerlichen Boden, auf den sie sich gestellt hatten. Was den Kampf mit dem Unternehmertum betrifft, so ward schon 1845 von der

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[1] Webb: Geschichte der britischen Trade-Unions, S. 121. [Fußnote im Original]

[2] Ebenda, S. 125. [Fußnote im Original]