Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 463

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Aber es ist[1] nicht gleich für die Gesellschaft, wer konsumiert. Wenn die Konsumtion nur dazu dient, um gleichzeitig die Produktion wieder in Bewegung zu bringen, dann wächst der Reisberg wieder an, und „die Gesellschaft“ hat nichts gewonnen, das Krisenfieber schüttelt sie nach wie vor. Erst wenn die Güter auf Nimmerwiedersehen absorbiert werden, wenn sie zur Konsumtion von Leuten dienen, die ihrerseits nicht mehr produzieren, dann erst atmet die Gesellschaft wirklich erleichtert auf, die Krisenbildung ist eingedämmt.

Der Unternehmer Hinz weiß nicht, wohin er mit den von ihm (d. h. von seinen Arbeitern) produzierten Waren soll. Zum Glück treibt der Unternehmer Kunz wahnwitzigen Luxus und kauft seinem bedrängten Klassengenossen die lästigen Waren ab. Er selbst, Kunz, hat aber auch Überfluß an produzierten Gütern, die ihn „belasten“; glücklicherweise gibt der vorhin erwähnte Hinz gleichfalls sehr viel für „Luxus und Narreteien“ aus und bietet sich dem besorgten Kunz seinerseits als der ersehnte Abnehmer an. Jetzt, nach dem glücklich abgeschlossenen Geschäft schauen sich unsere beiden Unternehmer gegenseitig verdutzt an und haben Lust auszurufen: Bist du verrückt oder ich? Tatsächlich sind sie´s beide. Denn was haben sie durch die ihnen von Schippel angeratene Operation erreicht? Sie haben freilich beide einander redlich zur restlosen Zerstörung einer bestimmten Menge Güter verholfen. Aber ach! nicht die Zerstörung der materiellen Güter, sondern die Realisierung des Mehrwertes in blankem Gold ist der Zweck des Unternehmertums. Und in dieser Beziehung läuft das witzige Geschäft auf dasselbe hinaus, wie wenn jeder der beiden Unternehmer seinen eigenen überflüssigen Mehrwert selbst restlos verschluckt, konsumiert hätte. Das ist das Schippelsche Mittel zur Abschwächung der Krisen. Die westfälischen Kohlenbarone leiden an Überproduktion von Kohle? Die Tölpel! Sie sollen nur in ihren Palästen stärker heizen lassen, und der Kohlenmarkt ist „entlastet“. Die Besitzer der Marmorgruben in Carrara klagen über Stockung im Handel? Sie sollen doch für ihre Pferde Ställe aus Marmor errichten lassen, und das „Krisenfieber“ im Marmorgeschäft ist sofort gedämpft. Und zieht eine drohende Wolke von allgemeiner Handelskrise herauf, so ruft Schippel dem Kapitalismus zu: „Mehr Austern, mehr Champagner, mehr Livreebediente, mehr Balletteusen, und ihr seid gerettet!“ Wir fürchten nur, die alten durchtriebenen Kerle werden ihm antworten: „Herr, Ihr haltet uns für dümmer, als wir sind!“

Diese geistreiche ökonomische Theorie führt aber noch zu interessanten

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[1] 2. Auflage: eingefügt „nach dieser geistreichen Theorie“.