mus. Je mehr in beiden Ländern rückständige Produktionsformen modernen Platz machen, um so fester wird diese Verbindung, um so mehr wird die Zugehörigkeit Polens zu Rußland zur Grundbedingung des ökonomischen Lebens des ersteren.[1]
Die Tendenzen der kapitalistischen Entwicklung in Polen führen somit zur ökonomischen Einverleibung des letzteren in das russische Reich. Dies ist ein objektiver geschichtlicher Vorgang, der weder von dem Willen einzelner noch von dem der Parteien abhängig und der in erster Linie auf die Produktions- und Austauschbedingungen Polens zurückzuführen ist. Dies ist vom Standpunkte der nationalen Bestrebungen eine traurige Tatsache, aber noch trauriger wäre es, vor dieser Tatsache die Augen zu schließen.[2]
Die gekennzeichnete Richtung der sozialen Entwicklung hat es mit sich gebracht, daß es in Polen jetzt keine Gesellschaftsklasse gibt, die ein Interesse an der Wiederherstellung Polens und zugleich die Kraft hätte, dieses Interesse zur Geltung zu bringen.
Die Stellung der wichtigsten Klasse, der Bourgeoisie, ist aus dem Obigen klar. Während sie in anderen Ländern durch ihre Klasseninteressen zur Herrschaft über fremde Nationen gedrängt wird, sieht sie sich in Polen im Namen derselben Interessen auf die Unterwerfung unter eine fremde Herrschaft angewiesen.
Der Adel, der ehemalige Chorführer der polnischen Gesellschaft, geht jetzt im Schlepptau der Bourgeoisie. Der Übergang zum Lohnsystem und
[1] Dies ist das Verhältnis, welches Haedker so auffaßt, als sei Polen „Herr der Situation“. „Rußland hingegen ist so sehr in der wirtschaftlichen Entwicklung zurückgeblieben“, sagt er, „daß es gänzlich von der kongreßpolnischen Produktion abhängt.“ Die folgenden Ziffern werden ihn hoffentlich eines Besseren belehren:
Nach dem zitierten „Bericht zur Ausstellung in Chicago“ beträgt im Jahre 1890 der Gesamtwert der industriellen Produktion | |||
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Rußlands | 1597 Mill. Rubel | = | 13,5 Rubel pro Kopf d. Bevölk. |
des Petersburger Rayons | 242 Mill. Rubel | = | 40,0 Rubel pro Kopf d. Bevölk. |
des Moskauer Industrierayons | 460 Mill. Rubel | = | 38,0 Rubel pro Kopf d. Bevölk. |
Kongreßpolens | 210 Mill. Rubel | = | 25,0 Rubel pro Kopf d. Bevölk. |
Somit nimmt Polen in Rußland in industrieller Beziehung ebenso absolut wie relativ die dritte Stelle ein, wobei es von der Produktion des Moskauer Rayons allein mehr als zweifach übertroffen wird. Rußland besitzt also eine große eigene Industrie, die obendrein viel älter ist als die polnische. Das verhindert natürlich nicht im mindesten, daß zwischen beiden Ländern die tiefgehendste Arbeitsteilung stattfindet und daß Polen gänzlich von russischen Absatzmärkten abhängt. Die Textilindustrie Polens macht z. B. – ganz unverhältnismäßig zu seiner Bevölkerung – ein ganzes Viertel und die polnische Stahl- und Eisenindustrie ein Sechstel der russischen aus. [Fußnote im Original]
[2] Man urteile darnach von der tiefen Auffassungsweise Haeckers, der uns zumutet, dieser objektive geschichtliche Vorgang sei unsere „Programmforderung“ – er sagt nämlich, die Sozialdemokratie Russisch-Polens „fordere“ die organische Einverleibung Polens in Rußland. Es ist klar, daß daran gerade so viel Wahres ist, als daß die Sozialdemokratie den Untergang des kleinen Mannes, die Aufhebung der Familie etc. „fordert“. [Fußnote im Original]