Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 459

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Gesamtheit im Reichstage abstimmen. In einer von Grund aus demokratischen Partei kann das Verhältnis zwischen Wählern und Abgeordneten unter keinen Umständen durch den Wahlakt und die mehr äußerlich-formelle, summarische Berichterstattung auf den Parteitagen als erledigt erachtet werden. Die Fraktion muß vielmehr in möglichst lebendiger ununterbrochener Fühlung mit der Parteimasse verbleiben, und dies wird namentlich zum einfachen Gebote der Selbsterhaltung angesichts der opportunistischen Strömungen, die in der letzten Zeit gerade unter den Parteiparlamentariern zutage treten. Eine öffentliche Stellungnahme der Fraktion zu den Äußerungen Schippels war und ist schon deshalb notwendig, weil die Partei in ihrer Masse, sosehr sie's auch wünschen mag, einfach nicht die physische Möglichkeit hat, als Ganzes selbst in dieser Frage aufzutreten. Die Fraktion ist eine berufene politische Vertretung der Gesamtpartei und hätte durch ihr eigenes offenes Vorgehen indirekt der Partei zu der notwendigen Stellungnahme verhelfen sollen.

Drittens endlich hat auch die Partei direkt als solche über den Fall Schippel ihr Wort zu sagen, und zwar in der einzigen Form, die ihr dazu zu Gebote steht – auf dem nächsten Parteitage.

Es hieß bei der Stuttgarter Diskussion über die Bernsteinschen Artikel, der Parteitag könne nicht über theoretische Fragen abstimmen. Nun haben wir im Falle Schippel eine rein praktische Frage. Es hieß, die Heineschen Kompensationsvorschläge seien bloß unangebrachte Zukunftsmusik gewesen, mit der die Partei nicht zu rechnen brauche. Nun haben wir bei Schippel Gegenwartsmusik. Und zwar hat sich in der Schippelschen Stellungnahme zur Milizfrage die opportunistische Politik, wie gesagt, zu ihren letzten Konsequenzen entwickelt, sie ist spruchreif geworden. Es erscheint uns als dringende Aufgabe der Partei, aus dieser Entwicklung durch eine klare und unzweideutige Stellungnahme die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Sie hat dazu alle Ursache. Es handelt sich im gegebenen Falle um einen Vertrauensmann, einen politischen Vertreter der Partei, der ihr seinem Amte nach zum Schwert im Kampfe, dessen Aktion ihr als Damm gegen die Angriffe des bürgerlichen Staates dienen sollte. Verwandelt sich aber der Damm jeden Augenblick in ein Ding von breiartiger Beschaffenheit und bricht die Klinge im Gefecht wie eine papierene zusammen, dürfte dann nicht die Partei auch ihrerseits dieser Politik einmal zurufen:

Fort mit dem Brei –

Ich brauch' ihn nicht!

Aus Bappe schmied´ ich kein Schwert!]

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