Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 460

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/460

Mit der Bitte um Veröffentlichung erhielt die „Leipziger Volkszeitung“ am 24. Februar 1899 die folgende von Schippel [nach der Lektüre der ersten beiden Artikel] verfaßte Zuschrift:

Lieber Freund Schoenlank!

Ich lese die „r1.“-Artikel der „Leipziger Volkszeitung“ stets mit großem Interesse, nicht weil ich ihnen immer in allen Punkten beizustimmen vermöchte, sondern weil ich an ihnen die lebhafte Kampfnatur, die ehrliche Überzeugung und die anregende Dialektik hochschätze.

Auch diesmal folge ich nicht ohne Staunen den immer höher und rascher sich gipfelnden Schlußfolgerungen, die von der Grundlage der einen Voraussetzung ausgehen:

Der wirtschaftliche Grund, der uns – nach Schippel – zwingt, an dem System des Militarismus festzuhalten, ist die ökonomische Entlastung der Gesellschaft durch dieses System. – Schippel erklärt den Militarismus auch vom Standpunkte der Arbeiterklasse für eine Entlastung, ... indem er von dem Grundsatze der Interessenharmonie zwischen Kapital und Arbeit ausgeht.

Die Schlußfolgerungen in Ehren, bloß die Voraussetzung ist absolut irrig und hinfällig! Ich habe in der „Neuen Zeit“ lediglich erklärt, daß die riesenhaften unproduktiven Ausgaben – sei es der Privaten für wahnwitzigen Luxus und blöde Narretei, sei es der Staaten für Militär, Pfründen und allerhand Firlefanz – das Krisenfieber abschwächen, von dem eine Gesellschaft der „Überproduktion“ geradezu dauernd geschüttelt sein würde, wenn die unproduktive Verschwendung nicht einen immer ausgedehnteren Platz neben der Akkumulation zu produktiven Zwecken einnehme. Damit habe ich selbstverständlich Vergeudung und unproduktive Ausgaben nicht im geringsten gutgeheißen, noch weniger habe ich sie im Interesse der Arbeiterklasse gefordert. Ich habe nur auf andere, als die gewöhnlich betonten, tatsächliche Wirkungen derselben „für die moderne Gesellschaft“ hinzuweisen versucht.

Ich hielt es anfangs für zweifellos, daß mich niemand als einen Vorkämpfer „für diese moderne Gesellschaft“ einschätzen würde. Indes habe ich doch auch mancherlei Erfahrungen, was sozialdemokratische Debatten anlangt, hinter mir; und so schob ich, um jeglicher Mißdeutung vorzubeugen, nachträglich doch noch in den Überproduktionspassus das eine kleine Sätzchen ein:

Natürlich macht mir das den Militarismus nicht angenehmer, sondern um so unangenehmer.

Nächste Seite »