Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 458

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demokratischen Fraktion. Sie ist es, die vor allem berufen war, in der Schippelschen Angelegenheit das maßgebende Wort zu sprechen, einerseits, weil Schippel Reichstagsabgeordneter und Mitglied der Fraktion, anderseits, weil die von ihm behandelte Frage einer der Hauptgegenstände des parlamentarischen Kampfes ist. Wir wissen nicht, ob die Fraktion in der Sache etwas getan hat oder nicht. Da es bald nach dem Erscheinen des Isegrimschen Artikels öffentliches Geheimnis war, wer hinter dem Pseudonym steckte, so hat aller Wahrscheinlichkeit nach die Fraktion nicht mit verschränkten Armen zugesehen, wie eins ihrer Mitglieder ihre eigene Tätigkeit verhöhnte.

Und hat sie's nicht schon vorher getan, so konnte sie das Versäumte nachholen, nachdem Schippel durch Kautsky aus seinem Wolfsfell herausgeschüttelt worden war. Gleichviel, hat die Fraktion zum Falle Schippel Stellung genommen oder nicht, das Ergebnis ist ungefähr das gleiche, solange sie es nicht zur Kenntnis der Gesamtpartei gebracht hat. Gezwungen, sich auf dem Parkettboden des ihrem eigentlichen Wesen fremden, bürgerlichen Parlamentarismus zu bewegen, hat die Sozialdemokratie anscheinend unwillkürlich und unbewußt auch manche Sitten dieses Parlamentarismus übernommen, die aber mit ihrem demokratischen Charakter nicht recht in Einklang zu bringen sind. Dahin gehört z. B. unseres Erachtens das Auftreten der Fraktion als einer geschlossenen Körperschaft nicht nur den bürgerlichen Parteien, was durchaus notwendig, sondern auch der eigenen Partei gegenüber – was zu Unzuträglichkeiten führen kann. Die Fraktionen der bürgerlichen Parteien, in denen parlamentarischer Kampf meistens in der reizlosen Gestalt von Kuhhandel und Tauschgeschäft ausgefochten wird, haben allen Grund, das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen. Die sozialdemokratische Fraktion dagegen hat weder das Bedürfnis noch auch den Anlaß, das Ergebnis ihrer Verhandlungen als Internum zu betrachten, sobald es sich um Parteiprinzipien oder wichtigere taktische Fragen handelt. Die Erledigung einer solchen Frage nur in einer geheimen Fraktionssitzung würde dann genügen, wenn es bei uns, wie bei den bürgerlichen Parteien, lediglich auf die schließliche Erzielung einer bestimmten Abstimmung der Fraktion im Reichstag ankäme. Für die Sozialdemokratie aber, für die der parlamentarische Kampf ihrer Fraktion viel wichtiger vom rein agitatorischen als vom praktischen Standpunkt ist, kann es gegebenenfalls nicht auf einen formellen Mehrheitsbeschluß der Fraktion, sondern auf ihre Diskussion selbst, auf die Klärung der Lage ankommen. Für die Partei ist es mindestens so wichtig, zu erfahren, wie ihre Vertreter über die parlamentarischen Fragen denken, als wie sie darüber in ihrer

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