Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 397

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Balkanstaaten, Rußland und Polen, sie alle verdanken die Bedingungen oder den Anstoß zur kapitalistischen Entwicklung den Kriegen, gleichviel, ob dem Sieg oder der Niederlage. Solange als es Länder gab, deren innere Zersplitterung oder deren naturalwirtschaftliche Abgeschlossenheit zu überwinden war, spielte auch der Militarismus eine revolutionäre Rolle im kapitalistischen Sinne. Heute liegen auch hier die Dinge anders. [Der Militarismus hat keine Länder mehr dem Kapitalismus zu erschließen.] Wenn heute China zum Theater drohender Konflikte wird, so handelt es sich offenbar nicht sowohl um die Erschließung Chinas für den europäischen Kapitalismus als um fertige europäische Gegensätze, die sich nach China verpflanzt haben und auf chinesischem Boden bloß zum Durchbruch kommen.[1] Was heute gegeneinander mit der Waffe in der Hand auftritt, gleichviel, ob in Europa oder in anderen Weltteilen, sind nicht einerseits kapitalistische, andererseits naturalwirtschaftliche Länder, sondern Staaten, die gerade durch die Gleichartigkeit ihrer hohen kapitalistischen Entwicklung zum Konflikt getrieben werden. Für diese Entwicklung selbst kann freilich unter diesen Umständen der Konflikt, wenn er zum Durchbruch kommt, nur von fataler Bedeutung sein, indem er [diesmal ganz zwecklos] die tiefste Erschütterung und Umwälzung des wirtschaftlichen Lebens in allen kapitalistischen Ländern herbeiführen wird. Anders sieht aber die Sache aus vom Standpunkte der Kapitalistenklasse. Für sie ist heute der Militarismus in dreifacher Beziehung unentbehrlich geworden: erstens als Kampfmittel für konkurrierende „nationale“ Interessen gegen andere nationale Gruppen, zweitens als wichtigste Anlageart ebenso für das finanzielle wie für das industrielle Kapital und drittens als Werkzeug der Klassenherrschaft im Inlande gegenüber dem arbeitenden Volke – alles Interessen, die mit der Entwicklung der kapitalistischen Weltwirtschaft[2] an sich nichts gemein haben. Und was am besten wiederum diesen spezifischen Charakter des heutigen Militarismus verrät, ist erstens sein allgemeines Wachstum in allen Ländern um die Wette, sozusagen durch eigene innere mechanische Triebkraft, eine Erscheinung, die noch vor ein paar Jahrzehnten ganz unbekannt war; ferner die Unvermeidlichkeit, das Fatale der herannahenden Explosion bei gleichzeitiger völliger Unbestimmtheit des Anlasses, der zunächst interessierten Staaten, des Streitgegenstandes

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[1] 2. Auflage: Wenn die Weltpolitik zum Theater drohender Konflikte geworden ist, so handelt es sich nicht sowohl um die Erschließung neuer Länder für den Kapitalismus als um fertige europäische Gegensätze, die sich nach den anderen Weltteilen verpflanzt haben und dort zum Durchbruch kommen.

[2] 2. Auflage: mit dem Fortschritt der kapitalistischen Produktionsweise.