Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 392

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immer schwieriger. Der bezeichnete allgemeine Gang der Dinge ist es, dessen andere Seite und Korrelat[1] der Aufschwung des politischen und sozialistischen Klassenkampfes sein muß.

Den gleichen Fehler der umgekehrten geschichtlichen Perspektive begeht Konrad Schmidt in bezug auf die Sozialreform, von der er sich verspricht, daß sie „Hand in Hand mit den gewerkschaftlichen Arbeiterkoalitionen der Kapitalistenklasse die Bedingungen, unter denen sie allein Arbeitskräfte verwenden darf, aufoktroyiert“. Im Sinne der so aufgefaßten Sozialreform nennt Bernstein die Fabrikgesetze ein Stück „gesellschaftliche Kontrolle“ und als solche – ein Stück Sozialismus. Auch Konrad Schmidt sagt überall, wo er vom staatlichen Arbeiterschutz spricht, „gesellschaftliche Kontrolle“, und hat er so glücklich den Staat in Gesellschaft verwandelt, dann setzt er schon getrost hinzu: „d. h. die aufstrebende Arbeiterklasse“, und durch diese Operation verwandeln sich die harmlosen Arbeiterschutzbestimmungen des deutschen Bundesrates in sozialistische Übergangsmaßregeln des deutschen Proletariats.

Die Mystifikation liegt hier auf der Hand. Der heutige Staat ist eben keine „Gesellschaft“ im Sinne der „aufstrebenden Arbeiterklasse“, sondern Vertreter der kapitalistischen Gesellschaft, d. h. Klassenstaat. Deshalb ist auch die von ihm gehandhabte Sozialreform nicht eine Betätigung der „gesellschaftlichen Kontrolle“, d. h. der Kontrolle der freien arbeitenden Gesellschaft über den eigenen Arbeitsprozeß, sondern eine Kontrolle der Klassenorganisation des Kapitals über den Produktionsprozeß des Kapitals. Darin, d. h. in den Interessen des Kapitals, findet denn auch die Sozialreform ihre natürlichen Schranken. Freilich, Bernstein und Konrad Schmidt sehen auch in dieser Beziehung in der Gegenwart bloß „schwächliche Anfangsstadien“ und versprechen sich von der Zukunft eine ins unendliche steigende Sozialreform zugunsten der Arbeiterklasse. Allein sie begehen dabei den gleichen Fehler wie in der Annahme einer immer aufsteigenden[2] Gewerkschaftsbewegung.

Die Theorie der allmählichen Einführung des Sozialismus durch soziale Reformen setzt als Bedingung, und hier liegt ihr Schwerpunkt, eine bestimmte objektive Entwicklung ebenso des kapitalistischen Eigentums wie des Staates voraus. In bezug auf das erstere geht das Schema der künftigen Entwicklung, wie es Konrad Schmidt voraussetzt, dahin, „den Kapitaleigentümer durch Beschränkung seiner Rechte mehr und mehr in die Rolle eines Verwalters herabzudrücken“. Angesichts der angeblichen Unmöglich-

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[1] 2. Auflage: dessen Gegenstück.

[2] 2. Auflage: einer unumschränkten Machtentfaltung der.