Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 391

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Die Tätigkeit der Gewerkschaften beschränkt sich also in der Hauptsache auf den Lohnkampf und die Verkürzung der Arbeitszeit, d. h. bloß auf die Regulierung der kapitalistischen Ausbeutung je nach den Marktverhältnissen; die Einwirkung auf den Produktionsprozeß bleibt ihnen der Natur der Dinge nach verschlossen. Ja noch mehr, der ganze Zug der gewerkschaftlichen Entwicklung richtet sich gerade umgekehrt, wie es Konrad Schmidt annimmt, zur völligen Ablösung des Arbeitsmarktes von jeder unmittelbaren Beziehung zu dem übrigen Warenmarkt. Am bezeichnendsten hierfür ist die Tatsache, daß sogar die Bestrebung, den Arbeitskontrakt wenigstens passiv mit der allgemeinen Produktionslage in unmittelbare Beziehung zu bringen durch das System der gleitenden Lohnlisten[1], nunmehr von der Entwicklung überholt ist und daß sich die englischen Trade-Unions von ihnen immer mehr abwenden.[2]

Aber auch in den tatsächlichen Schranken ihrer Einwirkung geht die gewerkschaftliche Bewegung nicht, wie es die Theorie der Anpassung des Kapitals voraussetzt, einer unumschränkten Ausdehnung entgegen. Ganz umgekehrt! Faßt man größere Strecken der sozialen Entwicklung ins Auge, so kann man sich der Tatsache nicht verschließen, daß wir im großen und ganzen nicht Zeiten eines starken Aufschwunges, sondern des Niederganges[3] der gewerkschaftlichen Bewegung entgegengehen. Hat die Entwicklung der Industrie ihren Höhepunkt erreicht und beginnt für das Kapital auf dem Weltmarkt der „absteigende Ast“, dann wird der gewerkschaftliche Kampf doppelt schwierig: Erstens verschlimmern sich die objektiven Konjunkturen des Marktes für die Arbeitskraft, indem die Nachfrage langsamer, das Angebot aber rascher steigt, als es jetzt der Fall ist; zweitens greift das Kapital selbst, um sich für die Verluste auf dem Weltmarkt zu entschädigen[4], auf die dem Arbeiter zukommende Portion des Produktes zurück. Ist doch die Reduzierung des Arbeitslohnes eines der wichtigsten Mittel, den Fall der Profitrate aufzuhalten![5] England bietet uns bereits das Bild des beginnenden zweiten Stadiums in der gewerkschaftlichen Bewegung. Sie reduziert sich dabei notgedrungen immer mehr auf die bloße Verteidigung des bereits Errungenen, und auch diese wird

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[1] Grundlage dieses Systems war die zwischen Unternehmern und Arbeitern getroffene Vereinbarung, daß die Höhe des Lohnes von einem bestimmten Verhältnis zu den Veränderungen des Marktpreises der Produkte abhängig ist. Es ließ die Möglichkeiten für Manipulationen gegen die Arbeiter offen und wurde deshalb von diesen abgelehnt.

[2] Ebenda, S. 115. [Fußnote im Original]

[3] 2. Auflage: Zeiten einer siegreichen Machtentfaltung, sondern wachsenden Schwierigkeiten.

[4] 2. Auflage: eingefügt „um so hartnäckiger“.

[5] K. Marx: Das Kapital, 3. Bd., I, S. 216. (Karl Marx: Das Kapital, Dritter Band. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 25, S. 245.)