Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 390

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/390

kann sie offenbar nur im letzteren Sinne, d. h. im Sinne der direkt interessierten einzelnen Arbeitergruppen handeln, d. h. sich Neuerungen widersetzen. In diesem Falle handelt sie aber nicht im Interesse der Arbeiterklasse im ganzen und ihrer Emanzipation, das vielmehr mit dem technischen Fortschritt, d. h. mit dem Interesse des einzelnen Kapitalisten übereinstimmt, sondern gerade entgegengesetzt, im Sinne der Reaktion. Und in der Tat, wir finden die Bestrebung?[1], auf die technische Seite der Produktion einzuwirken, nicht in der Zukunft, wo Konrad Schmidt sie sucht, sondern in der Vergangenheit der Gewerkschaftsbewegung. Sie markiert[2] die ältere Phase des englischen Trade-Unionismus (bis in die 60er Jahre), wo er noch an mittelalterlich-zünftlerische Überlieferungen anknüpfte und charakteristischerweise von dem veralteten Grundsatz des „erworbenen Rechts auf angemessene Arbeit“ getragen war.[3] Die Bestrebung der Gewerkschaften, den Umfang der Produktion und die Warenpreise zu bestimmen, ist hingegen als[4] Erscheinung ganz neuen Datums. Erst in der allerletzten Zeit sehen wir – wiederum nur in England – dahingehende Versuche auftauchen.[5][6]Dem Charakter und der Tendenz nach sind aber auch diese Bestrebungen jenen ganz gleichwertig. Denn worauf reduziert sich notwendigerweise die aktive Teilnahme der Gewerkschaft an der Bestimmung des Umfangs und der Preise der Warenproduktion? Auf ein Kartell der Arbeiter mit den Unternehmern gegen den Konsumenten, und zwar unter Gebrauch von Zwangsmaßregeln gegen konkurrierende Unternehmer, die den Methoden der regelrechten Unternehmerverbände in nichts nachstehen. Es ist dies im Grunde genommen kein Kampf zwischen Arbeit und Kapital mehr, sondern ein solidarischer Kampf des Kapitals und der Arbeitskraft gegen die konsumierende Gesellschaft. Seinem sozialen Werte nach ist das ein reaktionäres Beginnen, das schon deshalb keine Etappe in dem Emanzipationskampfe des Proletariats bilden kann, weil es vielmehr das gerade Gegenteil von einem Klassenkampf darstellt. Seinem praktischen Werte nach ist das eine Utopie, die sich, wie eine kurze Besinnung dartut, nie auf größere und für den Weltmarkt produzierende Branchen erstrecken kann.

Nächste Seite »



[1] In der Quelle: das Bestreben.

[2] 2. Auflage: bezeichnet.

[3] Webb: Theorie und Praxis der Gewerkschaften, 2. Bd., S. 100 ff. [Fußnote im Original]

[4] 2. Auflage: eine.

[5] Ebenda, S. 115 ff. [Fußnote im Original]

[6] Seit 1890 schlossen Unternehmervereine und Gewerkvereine des Metallgewerbes in Birmingham sogenannte Allianzen, die die Aufgabe hatten, die Verkaufspreise zu erhöhen und auf deren Basis die Löhne zu regeln, um angeblich sowohl den Fabrikanten höhere Profite als auch den Arbeitern höhere Löhne zu sichern.